Besuch beim Amt

Bürokratie (Bild: Roland R. Maxwell).

Der Tag war gekommen, ich konnte es nicht länger aufschieben. Mein Personalausweis musste erneuert werden.
Ich habe mich immer davor gefürchtet, da ich Gerüchte über das Bürgeramt und seine sehr langwierigen Bearbeitungsprozesse gehört habe. Vorher hatten immer meine Eltern meinen Ausweis für mich erneuert, doch jetzt war ich einundzwanzig Jahre alt, somit ein vollständiger Erwachsener, und musste mich nun selbst darum kümmern. Jeder Bürger bekam zu verschiedenen Lebensabschnitten verschiedene Personalausweise: Den ersten bekam man bei der Geburt. Den zweiten beim Eintritt in die Grundschule mit sechs Jahren. Den dritten beim Eintreten der Pubertät mit zwölf. Den vierten beim Antritt des Abiturs mit sechszehn Jahren, den fünften mit Erreichen des unvollständigen Erwachsenenalters mit achtzehn, dann den sechsten beim Erreichen des vollständigen Erwachsenenalters und danach musste er alle zehn Jahre erneuert werden.
Jeder Termin beim Bürgeramt musste sechs Monate im Voraus gebucht werden. Wenn der Tag gekommen war, durfte man weder zu früh noch zu spät erscheinen, ansonsten verfiel der Termin und man musste einen neuen buchen.
Ich stand nun vor dem Bürgeramt, die Fahrt verlief ohne nennenswerte Probleme. Jeder Bürger der Amtsföderation genoss das Privileg, die öffentlichen Nahverkehrsmittel kostenlos nutzen zu dürfen. Diesem sehr glücklichen Umstand verdanken wir einem neuen (d.h. nicht älter als fünf Jahre) Gesetz, nämlich dem »Gesetz zur unentgeltlichen Nutzung der öffentlichen Nahverkehrsmittel durch Mitarbeiter innerhalb der Amtsföderation und ihrer zugehörigen Behördenrepubliken« (abgekürzt unter dem einprägsamen Akronym »GzuNöNMiAzB«).
Das Gebäude des Bürgeramtes war ein riesiger, unförmiger Komplex, so gigantisch, dass ich nicht einmal das Dach oder die Spitzen der Türme sehen konnte. Vielleicht lag es auch an dem grauen Nebel, der in der unteren Atmosphäre waberte. Die Farbe des Gebäudes war in einem schlichten aschgrau gehalten, wie bei allen Gebäuden der Amtsföderation, schließlich waren alle Fassaden seit 12C108 systematisiert und vereinheitlicht worden. Fenster waren keine zu sehen, diese waren im Rahmen der »Reform zur Verringerung der Energiekosten und Erhöhung der Mitarbeitereffizienz« abgeschafft und durch schwarze, brummende Lüftungsschlitze ersetzt worden, die das Gebäude in ein Rauschen hüllten.
Vor den gewaltigen Steintreppen, die zum Eingang des Bürgeramtes führten, befand sich ein Wachposten des Sicherheitsdienstes des Justizamtes. Innerhalb der Bevölkerung werden sie scherzhaft »Paragraphensöldner« genannt. Man sollte es aber nicht allzu laut sagen, denn die Herren der Justiz verstanden keinen Spaß. Es waren ungefähr zehn Soldaten, verteilt über einen Kontrollpunkt. Ein Betongebäude diente als Hauptquartier, eine heruntergelassene Schranke verhinderte einen unerlaubten Eintritt, das ganze Gelände war mit Maschendrahtzaun und Stacheldraht abgegrenzt, an jeder Ecke stand ein Wachturm. Seit dem »Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit von Behördenrepubliken und Abwehr von terroristischen Splittergruppen« musste jedes Amt ein Bataillon von Paragraphensöldner stationiert haben, eine Konsequenz aus den letzten gewaltsamen Unruhen und Terroranschlägen.
Die Soldaten, oder genau genommen »Sonderpolizeieinheiten« wie sie offiziell hießen, waren eine wahrlich furchtsame Erscheinung. Sie trugen pechschwarze Kevlarrüstungen, Stahlhelme und waren ausgerüstet mit Elektroschockern, automatischen Hochleistungsgewehren und Schlagstöcken. Ihr Gesicht verbargen sie hinter einer grauen, spiegelglatten Maske, auf der »§1 StGBdA« eingraviert worden war: »Der Staat besitzt das Gewaltmonopol«, das kürzeste und eindeutigste Gesetz der Amtsföderation.
Bevor ich mich auch nur auf zehn Metern nähern konnte, schritt einer der Söldner an mich heran und bellte mit einer mechanischen, geschlechtslosen Stimme: »Halt! Sie betreten das Gelände des Bürgeramtstaates. Nennen Sie Ihr Anliegen und Ihre Personaldaten!«
Ich blieb auf der Stelle stehen und antwortete: »Ich habe einen Termin wegen meiner Personalausweiserneuerung.«
»Tragen Sie einen amtlichen Beweis bei sich?«, fragte er.
Ich kramte in meiner Tasche herum, bis ich das verlangte Papier fand. Ich schritt zu ihm hin und überreichte das Dokument. Er riss es mir aus der Hand und las es. Er schien zufrieden zu sein und gab es mir zurück. Seine Haltung lockerte sich auf der Stelle.
»Gut, beginnen wir mit der Abfragung Ihrer Personaldaten«, er holte ein Stück Papier hervor. »Bürgernummer?«
»3047846549832710456«, ratterte ich die ellenlange Zahl hinunter.
»Name?«
»Kautzmann.«
»Vorname?«
»Josef.«
»Geburtsdatum?«
»25A4507.«
»Momentanes Alter?«
»Einundzwanzig Jahre.«
»Geburtsort?«
»Bauamt.«
Er stockte. »Bauamt?«, ich vermochte in der eigentlich gefühllosen Stimme so etwas wie Verwirrung zu hören. »Haben wir euch nicht in den Behördenkriegen vernichtet?«
»Ja, aber im Zuge der ›Rekonstruktion behördlicher Strukturen und Neugliederung der Amtsföderation‹-Maßnahme hat das Bauamt wieder den Betrieb aufgenommen. Mein Großvater ist übrigens Veteran des Krieges.«
»Schön zu hören. Hoffen wir, dass das Bauamt jetzt weiß, wo sein Platz in der Föderation ist und sich nicht nochmal auf solche Dummheiten einlässt, sodass kein weiterer Konflikt vonnöten ist. Obwohl es mir damals Freude bereitet hat, Baubeamte reihenweise niederzumetzeln.«
»Vergessen Sie bitte nicht §7 Absatz 9 des ›Gesetzes zu Privatgesprächen zwischen Mitarbeitern der Amtsföderation‹ und §87 Absatz 23 des ›Gesetzes zu Gesprächen über den Vierten Behördenkrieg von 01D4459 bis 31A4462‹. Ich möchte keine Schwierigkeiten bekommen«, ermahnte ich den Justizsöldner.
»Natürlich, da vergaß ich mich wohl. Wo waren wir stehengeblieben?«
»Personaldatenabfrage. Wohnort«, erklärte ich.
»Ah, ja natürlich. Wohnort.«
»Finanzamt.«
»Momentane Arbeit?«
»Mitarbeiter des Finanzamtes. Sektor-C – Steuerangelegenheiten für Kleingewerbe im Quadranten D4.« Wahrlich eine sinnlose Tätigkeit. Der letzte Kleingewerbeunternehmer wurde vor vierhundert Jahren exekutiert, zumindest stand das so in den alten Akten, die ich mal zu Beginn meiner Tätigkeit gelesen habe. Abgesehen davon, dass es keinen »Quadranten D4« mehr gab. Siehe »Rekonstruktion behördlicher Strukturen und Neugliederung der Amtsföderation«. Weiter mit der Abfragung.
»Augenfarbe?«
»Grün.«
»Haarfarbe?«
»Blond.«
»Größe?«
»177cm.«
»Gut, das müsste alles gewesen sein«, er steckte das Dokument wieder in seine Tasche. »Sie dürfen eintreten. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.«
Ich nickte zustimmend: »Danke.« Der Soldat gab ein Handzeichen, woraufhin sich die Schranke hob und ich eintreten durfte.
Ich atmete erleichtert aus. Interaktionen mit dem Justizamt konnten auch ganz anders ausgehen. Von allen Behörden war sie wahrscheinlich die mächtigste und furchteinflößendste. Niemand wusste, was im Inneren der grausigen Gemäuer des Justizamtes wirklich vor sich ging, es gab nur Gerüchte. Über Prozesse, die sich über Jahrhunderte erstreckten. Gerichtsverhandlungen, die nie ein Ende nahmen. Unverständliche Gesetzestexte. Gefängnisse, wo Folterungen und erpresste Geständnisse sich die Hand reichten.
Noch nie hatte jemand einen Hohen Richter gesehen, nicht mal die Rechtsverteidiger und Staatsanwälte. Es hieß, dass sie sich im tiefsten Inneren des Gebäudekomplexes befanden und Prozesse bearbeiteten, für die nur sie allein zuständig waren. Streng geheime Gerichtsverhandlungen, die ein Leben lang gingen. Und wenn ein Angeklagter verstarb, wurde er ins Leben zurückgebracht, um den Prozess zu Ende zu führen und seine rechtmäßige Strafe zu erhalten. In 99% aller Fälle hieß das Exekution durch ein Erschießungskommando.
Ich habe auch von Bekannten gehört, die gesagt haben, dass es schon passiert ist, dass eines Nachts plötzlich Vollstrecker, eine weitere Sondereinheit des Justizamtes, an der Tür waren und Beschuldigte aus dem Bett gezogen haben, um sie einen Haftrichter vorzuführen. Der Angeklagte soll dabei nicht mal erfahren haben, warum er denn angeklagt war. Doch das waren nur Gerüchte und eine Verbreitung solcher war strafbar, siehe dafür §139 des »Gesetzes zur Verhinderung der Ausbreitung von Propaganda und unwahren Tatsachen«. Da konnte man schon mal mit einer langen Gefängnisstrafe rechnen, sollte man erwischt werden. Und die Chancen dafür standen gut, das Justizamt hatte überall seine sogenannten »Informellen Mitarbeiter«, deren Existenz aber laut §34 Absatz 2 des »Gesetzes zum Schutz der Öffentlichkeit und Bekämpfung antistaatlichen Verhaltens« geheim war. Eine öffentliche Anerkennung der Existenz solcher Entitäten wurde mit Haftstrafen von bis zu fünfzehn Jahren geahndet.
War es eine schlechte Idee, dem Justizamt so viel Macht zu geben? Quasi Geheimdienst, Justiz, Polizei und Militär zu vereinen (siehe hierfür das »I. bis XXV. Gesetz zur Berechtigung von justiziabler, polizeilicher, geheimdienstlicher und militärischer Aktivitäten unter der Kontrolle des Justizamtes«)? Auf jeden Fall lebten wir sicherer, als es vor der Reform der Fall war. Der letzte Terroranschlag war bereits fünf Jahre her. Und selbst bei diesem gab es nur zweihundert Tote. Darüber hinaus war es eine Straftat, dem Justizamt dunkle Machenschaften (»Gesetz gegen die Verleumdung notwendiger Aktivitäten des Justizamtes«) nachzusagen, also sollte ich aufhören, mir Gedanken darüber zu machen.
Ich öffnete die schweren Türen und trat in das große Gebäude des Bürgeramtes. Wahrlich, eine uralte Republik. Laut den Chroniken war sie, neben dem Regierungsamt, eine der ersten Behörden, die errichtet wurden. Wie viele Seelen hatten schon die ehrwürdigen doch auch furchteinflößenden Hallen betreten? Es mussten unzählige gewesen sein.
Kurz nachdem ich das Gebäude betreten hatte, kam auch schon ein Wachmann aus seinem Raum. Nicht nur hatte jede Behörde ein Bataillon von Sonderpolizeieinheiten, sondern auch ein eigenes Wachpersonal, das für innere Angelegenheiten zuständig war. Warum auch immer neben der militärischen zusätzlich noch eine paramilitärische Einheit von Nöten war. Schließlich war es relativ unwahrscheinlich, dass jemand an den Paragraphensöldner vorbeikam. Doch ich wollte diese Entscheidung nicht kritisieren, diejenigen, die diese Idee hatten, hatten sicherlich gute Gründe dafür.
Der Wachmann war nicht so stark gepanzert und schwer bewaffnet wie sein justiziabler Gegenpart. Er trug ein einfaches weißes Hemd, auf dem im Brustbereich eine goldene Marke hing, eine schwarze Schirmmütze, graue Hosen und schwarze Anzugsschuhe. Bewaffnet war er mit einer simplen Pistole, Pfefferspray und einem kurzen Knüppel. All das hing an seinem Gürtel, zusätzlich zu einer Taschenlampe, ein Klemmbrett und einem Funkgerät, das ständig knisterte und wo verzerrte Stimmen ohne Unterbrechung unverständliche Konversationen führten. Der Mann sah auch weniger sportlich als der Söldner aus, ein runder Bierbauch zeichnete sich unter dem angespannten Hemd ab. Kam wahrscheinlich vom vielen Sitzen.
Er zog das Klemmbrett von seinem Gürtel, nahm einen Stift in die Hand und sprach mit autoritärer Stimme: »Halt! Sie betreten das Gebäude des Bürgeramtstaates. Nennen Sie Ihr Anliegen und Ihre Personaldaten!«
Normale Standardprozedur. Laut §4 des »Gesetzes zur Erfassung persönlicher Daten zum Schutz der Öffentlichkeit und des Staates« war jeder Beamte dazu verpflichtet, die Personaldaten eines jeden Beamten abzufragen, wenn dieser eine Behörde betrat oder ein Anliegen hatte. Angeblich hatten in der Vergangenheit Terroristen das Terminsystem ausgenutzt und furchtbare Anschläge auf Behörden ausgeübt.
»Ich habe einen Termin wegen meiner Personalausweiserneuerung«, antwortete ich.
»Tragen Sie einen amtlichen Beweis bei sich?«, fragte der Wachmann.
Ich reichte ihm mein Dokument, er sah es sich an, nickte und gab es wir zurück. Anscheinend gab es nichts zu beanstanden.
»Ich beginne nun mit der Erfassung Ihrer persönlichen Daten. Bürgernummer?«
»3047846549832710456«, jedes Mal hoffte ich, dass ich keinen Zahlendreher drin hatte. Sollte das passieren, könnte mein Termin gestrichen werden und ich müsste das ganze Prozedere wiederholen.
»Name?«
»Kautzmann«, immer alles laut und deutlich sagen, ansonsten könnte der Beamte es missverstehen und den Termin streichen.
»Vorname?«
»Josef«, einmal war mir das tatsächlich passiert.
»Geburtsdatum?«
»25A4507«, bei meiner Finanzprüfung, um genau zu sein.
»Momentanes Alter?«
»Einundzwanzig Jahre«, der Lehrer hatte statt Kautzmann Kauzmann verstanden, wodurch die Abgleichung fehlschlug.
»Geburtsort?«
»Bauamt«, deshalb konnte ich nicht zu meiner Prüfung antreten und musste sie wiederholen. Die Note fünf hatte man mir auch eingetragen. Das gab eine Menge Ärger zuhause. Zur Strafe musste ich dreißig Aktenordner meines Vaters sortieren. Meine gesetzlich festgelegten Ferien hatte ich mir anders vorgestellt.
»Bauamt? Das existiert noch? Dachte, man hätte es zu Asche pulverisiert«, der Wachmann hob eine buschige Augenbraue.
»Ja, aber im Rahmen der ›Rekonstruktion behördlicher Strukturen und Neugliederung der Amtsföderation‹-Maßnahme wurde es wiederaufgebaut.«
Der Wachmann schaute mich erstaunt an: »Echt? Dickes Ding. Hätte ich ja nicht gedacht, nachdem was das Bauamt im Behördenkrieg getan hatte. Aber egal, ich schweife ab. Wohnort?«
»Finanzamt.«
»Momentane Arbeit?«
»Mitarbeiter des Finanzamtes. Sektor-C – Steuerangelegenheiten für Kleingewerbe im Quadranten D4.«
»Guter Job. Hätte ich auch gerne gehabt, aber leider war meine Bewertung nicht gut genug. Augenfarbe?«
»Grün.«
»Haarfarbe?«
»Blond.«
»Ich kann mich noch erinnern, als meine Haare blond waren. Schon Ewigkeiten her.«
Warum musste er mir seine Lebensgeschichte erzählen? Wusste er nicht, dass so etwas, während einer Personaldatenabfrage nicht gestattet war? Wollte er mich in Schwierigkeiten bringen. Beim Beamtengesetzbuch, ich hoffe doch, dass sich kein IM in der Nähe befand und diese Unterhaltung belauschte.
»Größe?«
»177cm.«
Er schaute auf sein Klemmbrett und sagte dann: »Gut, das war’s dann. Ist alles in Ordnung. Sie können weitergehen.«
»Danke. Wissen Sie zufällig, wo ich hin muss? Ich bin nicht allzu oft hier.«
Der Wachmann kratzte sich am Kopf. »Ich glaube … Ähm … Sie müssen … Nein, warte … Doch … Sie müssen ins vierte Stockwerk, die zehnte Tür von links … nein, rechts. Genau, die elfte Tür von rechts. Da müssen Sie hin.«
»Ähm … Danke«, ich machte mich sofort auf den Weg. Schließlich hatte ich schon genügend Zeit vertrödelt.
Ich stieg die Treppen hoch, die, wie es schien, direkt aus dem Beton gehauen worden waren, und begab mich ins vierte Stockwerk. Es war ein mühevoller Aufstieg, aberhunderte von Stufen mussten erklommen werden. Die Aufzüge konnte ich leider nicht benutzen, sie waren »Außer Betrieb«. Ich hatte auch noch nie einen funktionierenden Aufzug gesehen, vermutlich handelte es sich dabei um einen Mythos.
Im vierten Stockwerk angekommen, offenbarte sich mir ein ewig langer Gang, auf jeder Seite waren Türen, hundert an der Zahl, soweit ich das erkennen konnte. Auf der linken Seite waren die ungeraden, auf der rechten die geraden Nummern. Die Wände waren in einem ausgewaschenen Grün, wenn ich mich richtig erinnerte, hatten alle Amtsgebäude diese Farbe, gehörte wahrscheinlich zum »Gesetz zur Vereinheitlichung und Systematisierung von Amtsrepubliken«. Erhellt wurde der Gang von surrenden Phosphorröhren, die ein kränklich-weißgrünes Licht von sich gaben.
Nun, was hatte der Wachmann gesagt? Zwölfte Tür von links? So war das, glaubte ich.
Ohne Umschweife begab ich mich zur Tür und klopfte dreimal.
Eine undefinierbare, gedämpfte Stimme antwortete: »Herein!«, und ich trat hinein.
Das Büro war klein, eng und unpersönlich, schließlich war es per Gesetz verboten, Arbeit und Privates miteinander zu vermischen (siehe hierfür das »Gesetz gegen die Verunreinigung von Arbeitsplätzen durch individualistische Auswüchse«). Auf der linken Seite befanden sich Aktenschränke, die in derselben Farbe wie die Wände waren und auf der rechten war ein graues Fotokopiergerät, ein massives, um genau zu sein. Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass diese Maschinen sehr umständlich zu bedienen und seit mindestens einhundertfünfzig Jahren in Benutzung waren. Aber wie ich hörte, soll bereits eine Reform auf dem Weg sein, um die veralteten Geräte zu ersetzen. Vielleicht wird das sogar schnell, d.h. in unter fünfzehn Jahren, passieren.
In der Mitte des Raumes stand ein dunkelgrauer Metallschreibtisch, auf denen unzählige Stapel von Papier gelagert waren. Der Beamte war hinter diesen weißen Bergen kaum zu erkennen. Ich sah nur die Glatze und Ansätze des grünen Anzugs. Das Gesicht war von einem Computer verdeckt, das Büro wurde erhellt von dem Tickern und Tackern der Finger auf der Tastatur. Über dem Kopf des Beamten hing eine Uhr mit Ziffernblatt, sie war aber lautlos, da die Beamten sich auf die Arbeit konzentrieren und nicht abgelenkt werden sollen.
Ab und zu nahm der Beamte ein Stück Papier von dem Stapel und legte es vor sich, das Tickern-Tackern hörte dabei aber nicht auf. Die Arbeiter schienen in der einhändigen Benutzung der Tastatur sehr geschult zu sein.
Ich konnte mich noch daran erinnern, was für ein großer Tag es gewesen war, als endlich die Computer eingeführt (»Reform zur Digitalisierung und Verbesserung des Arbeitsplatzes«) worden sind. Vorbei waren die Tage der Schreibmaschine, nun gab es Bildschirme und das Intranet, mit dem die einzelnen Republiken untereinander mithilfe von E-Mails kommunizieren konnten, was dazu führte, dass die Effizienz der Arbeit um ganze 2,3% stieg! Ein glorreicher Tag, der auch schon zwölf Jahre zurücklag. Damals stellte uns das Regierungsamt in Aussicht, dass das Intranet bald allen Bürgern für private Zwecke zur Verfügung gestellt werden soll. Doch dieser Gesetzesentwurf wurde schnell wieder in den Schredder gesteckt, da sich herausstellte, dass einige Beamte das Intranet während ihrer Arbeitszeit für private Gespräche nutzten. Sie redeten über belanglosen Kram, teilten »witzige« Textdateien, flirteten miteinander, in einigen Fällen sollen sogar Kritik am System geäußert und Verschwörungen besprochen worden sein! Das Justizamt schritt sofort ein, seitdem wurde das Intranet von einer speziellen Polizeieinheit rund um die Uhr überwacht (siehe hierfür »Gesetz zur Kontrolle und Überwachung der rechtmäßigen Benutzung des Intranets während der Arbeitszeit«). Abweichendes Verhalten wurde umgehend verfolgt und bestraft. Ließen sich Beamten bei solchen Sachen erwischen, wurden sie entlassen und man strich ihre Pensionen.
An den Beamten, die der Grund für das Gesetz waren, hatte man ein Exempel stationiert. Sie wurden in einem Schnellverfahren zum Tode verurteilt. Das waren, glaube ich, insgesamt an diesem Tag vierhundertsechsundfünfzig Todesurteile, die selbstverständlich auf der Stelle umgesetzt wurden.
Der Beamte schaute weder von seinem Computer hoch noch unterbrach er seine Arbeit. Er brummte einfach nur: »Ihr Anliegen?«
»Ich habe einen Termin wegen meiner Personalausweiserneuerung«, antworte ich.
Er tippte etwas schneller und entgegnete dann: »Kann nicht sein. Ich habe hier keinen Termin vermerkt. Sie müssen falsch sein.«
»Oh … Wo muss ich dann hin?«
»Büro Nummer 49.«
»Ah, danke. Ich danke Ihnen und wünsche noch einen effektiven Arbeitstag.«
Der Beamte brummte irgendetwas.
Ich begab mich zum Büro Nummer 49 und klopfte dreimal. Wieder rief eine gedämpfte Stimme: »Herein!«
Ich trat in das Büro ein, es war eine 1:1 Kopie des vorherigen. Auch dieser Beamte versank förmlich in Bergen aus Papier und tick-tackerte wie wild auf der Tastatur herum.
»Ihr Anliegen?«
»Ich habe heute einen Termin wegen meiner Personalausweiserneuerung.«
»Kann nicht sein«, brummte er, »hier ist nichts vermerkt. Sie müssen falsch sein.«
»Wo muss ich dann hin?«
»Müsste Büro Nummer 32 sein.«
Ich bedankte mich und begab mich zum genannten Büro. Ich klopfte dreimal, wieder wurde ich hereingebeten, wieder war es eine Kopie der vorherigen Zimmer.
»Ihr Anliegen?«
»Ich habe heute eine Personalausweiserneuerung.«
»Da sind Sie hier falsch. Ich kümmere mich nur um Meldebescheinigungen. Sie müssen ins Büro gegenüber, Nummer 31.«
Ich bedankte mich und begab mich ins nächste Büro.
»Ihr Anliegen?«
»Personalausweiserneuerung. Ihr Kollege hat mich hierher geschickt. Er sagte, ich sei hier richtig.«
»Idiot«, fluchte der Beamte, »Was weiß der schon? Ständig schickt er Leute zu mir, die überhaupt nicht in meinen Arbeitsbereich passen! Erst gestern schickte er drei Bürger zu mir, die Führerscheindokumente wollten! Führerscheindokumente! Können Sie sich das vorstellen? Was hab ich mit Führerscheinen zu tun? Rhetorische Frage, nichts! Ich bin für Ummeldungen zuständig und das weiß dieser Bürohengst genau! Das macht er alles mit Absicht, der will meine kostbare Arbeitszeit stehlen, damit ich am Ende des Monats schlechter dastehe als er! Genau in diesem Moment tut er es, weil ich es Ihnen erklären muss. Vielleicht sollte ich ihm meinen Vorgesetzten melden, vielleicht lernt er ja dann, dass ich für Ummeldungen zuständig bin!«
Ich fragte mich, warum überhaupt jemand wegen Führerscheindokumente hierher kommen sollte? Schließlich waren private Kraftfahrzeuge seit 31E4006 abgeschafft. Führerscheinangelegenheiten werden nur noch vom Verkehrsamt behandelt, und auch nur dann, wenn es sich um Bus-, Lastkraftwagen- oder Zugfahrer handelt. Abgesehen davon, dass sich der Herr Beamte gerade strafbar machte, da er eine private Angelegenheit während der Arbeitszeit diskutierte, aber das wollte ich ihm nicht erklären, da ich zu meinen Termin musste. Stattdessen sagte ich: »Wo muss ich dann hin?«
»Ganz einfach. Es ist Büro Nummer 30. 30, sage ich! Merken Sie sich das genau! Nicht das Sie wieder hier in meinem Büro stehen und mir kostbare Zeit wegnehmen! Sehen Sie doch, bereits fünf Minuten vergeudet, die muss ich nun nacharbeiten!«
Ich verabschiedete mich und begab mich zum Büro Nummer 30. Ich klopfte dreimal und wieder rief eine gedämpfte Stimme: »Herein!«
Diesmal versank der Beamte nicht in einem Meer aus Dokumenten, wodurch ich mir mein Gegenüber endlich mal genauer ansehen konnte. Der Beamte trug einen dunkelgrünen Anzug, ein weißes Hemd und eine grüne Krawatte. Er hatte dunkelblondes, kurzes Haar, sein Gesicht sah gelangweilt aus. Ich bezeichnete die Person als »Er«, doch das war gar nicht so eindeutig, besaß sie doch sowohl weibliche als auch männliche Züge, wodurch ein eher androgynes Aussehen entstand. Ich wagte mich zu erinnern, dass mal ein Gesetz zur »Herstellung absoluter Gleichheit unter der Bevölkerung der Amtsföderation« geplant war. War das das Produkt? Ein möglicher Testlauf? Der Beamte sah auch etwas jünger aus als ich.
»Ihr Anliegen?«, selbst an der Stimme konnte nicht das Geschlecht erkannt werden.
»Ich bin hier, weil ich einen Termin zur Erneuerung meines Personalausweises habe. Bin ich hier richtig?«
»Ja, sind Sie.«
Ich atmete erleichtert aus.
»Tragen Sie einen amtlichen Beweis mit sich?«, fragte der Beamte in einem gelangweilten Ton.
»Ja, natürlich.« Ich überreichte ihn mein Dokument. Er überflog es.
»Sieht gut aus. Wir können nun mit der Erfassung Ihrer persönlichen Daten beginnen. Bürgernummer?«
»3047846549832710456«, war ich froh, dass ich endlich richtig war.
»Name?«
»Kautzmann.«
»Vorname?«
»Josef.«
»Geburtsdatum?«
»25A4507.«
»Momentanes Alter?«
»Einundzwanzig Jahre.«
»Geburtsort?«
»Bauamt.«
»Bauamt? Das gibt es noch? Dachte, das hätte man den Erdboden gleichgemacht.«
»Nein, nein. Sie wissen schon, die ›Rekonstruktion behördlicher Strukturen und Neugliederung der Amtsföderation‹-Maßnahme. Alles steht wieder.«
»Verstehe. Fahren wir fort. Wohnort?«
»Finanzamt.«
»Momentane Arbeit?«
»Mitarbeiter des Finanzamtes, Sektor-C – Steuerangelegenheiten für Kleingewerbe im Quadranten D4.«
»Glücklicher. Augenfarbe?«
»Grün.«
»Haarfarbe?«
»Blond.«
»Größe?«
»177cm.«
Der Beamte gab alles in seinen Computer ein, er wartete einen Moment und sagte dann: »Gut. Stimmt alles.«
»Können wir dann mit der Erneuerung beginnen?«
»Noch nicht.«
»Noch nicht?«
»Ja, Sie benötigen noch ein Dokument«, er schaute im Computer nach, »und zwar, dass Dokument B4097.«
»Okay«, ich wusste nicht, dass ich noch ein weiteres Dokument benötige, »Und wo bekomme ich das her?«
»Recht simpel«, antwortete der Beamte und gähnte.
»Ja?«, ich atmete erleichtert aus.
»Ja, Sie müssen zum Büro Nummer 12, es befindet sich auf diesen Gang hier. Sobald Sie es ausgefüllt haben, bringen Sie es zu mir und wir können mit der Erneuerung beginnen.«
»Klingt wirklich simpel.«
»Ja, sollte in fünf Minuten erledigt sein.«
»Gut, ich komme dann wieder.«
»Machen Sie das. Ich warte hier auf Sie. Wo soll ich auch anders hingehen?«
Ich verließ das Büro und begab mich dann zur Nummer 12. Ich klopfte und wurde hereingebeten.
»Ihr Anliegen?«, der Beamte sah so ähnlich aus wie der davor.
»Ich benötige für meine Personalausweiserneuerung das Dokument B4097.«
»Tragen Sie einen amtlichen Beweis bei sich?«
»Ja, natürlich«, ich zeigte ihm das Stück Papier.
»Gut, ich muss zuerst Ihre Daten abfragen.«
»Selbstverständlich, Ordnungsprozesse müssen sein.«
»Bürgernummer?«
»3047846549832710456.«
»Name?«
»Kautzmann.«
»Vorname?«
»Josef.«
»Geburtsdatum?«
»25A4507.«
»Momentanes Alter?«
»Einundzwanzig Jahre.«
»Geburtsort?«
»Bauamt.«
»Bauamt? Wirklich? Das existiert noch?«
»Ja, ja. Die Maßnahmen halt …«
»Natürlich. Wohnort?«
»Finanzamt.«
»Momentane Arbeit?«
»Mitarbeiter des Finanzamtes, Sektor-C – Steuerangelegenheiten für Kleingewerbe im Quadranten D4.«
»Eh, gibt bessere Jobs. Augenfarbe?«
»Grün.«
»Haarfarbe?«
»Blond.«
»Größe?«
»177cm. Bin seit meinem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr gewachsen«, ich kicherte nervös, doch der Beamte schaute mich nur teilnahmslos an.
»Interessiert mich nicht wirklich, aber Ihre Daten scheinen zu stimmen. Um das Dokument B4097 zu bekommen, brauchen Sie das gelbe Papier C3409-A.«
»Das … gelbe Papier … C3409-A?«
»Genau. Warten Sie, ich drucke Ihnen den amtlichen Beweis dafür aus, den Sie dann vorzeigen können«, der Beamte tippte etwas ein und ging dann zum Fotokopiergerät. Er bediente ein paar Tasten, dann begann die Maschine zu brummen. Nach ungefähr zehn Minuten hatte sie fünf Seiten ausgedruckt, die reichte der Beamte mir in die Hand.
»Die hier zeigen Sie dem zuständigen Beamten, dann bekommen Sie das gelbe Papier C3409-A.«
»Okay, und wo muss ich hin?«
Der Beamte überlegte kurz, dann antwortete er: »Sie müssen ins Büro Nummer 7. Befindet sich ja hier im Gang, sollte nicht allzu schwer sein.«
»Verstanden«, ich verabschiedete mich und begab mich dann zum genannten Ort.
»Ihr Anliegen?«
»Ich benötige das gelbe Papier C3409-A für das Dokument B4097, um meinen Personalausweis zu erneuern.«
»Tragen Sie einen amtlichen Beweis, sowohl für den Termin der Personalausweiserneuerung als auch dafür, dass sie das gelbe Papier C3409-A benötigen?«
»Ja, natürlich!«, ich reichte ihm die gewünschten Dokumente. Er schaute sie sich an und nickte.
»Gut, dann beginnen wir mit der Personaldatenabfragung.«
»Ist das wirklich notwendig?«
»Es ist eine pflichtmäßige Standardprozedur, die vom Gesetz festgeschrieben ist. Nehme ich an, dass Sie an die Effizienz und die Richtigkeit unserer Gesetzestexte zweifeln?«
»Nein, natürlich nicht!«
»Gut, dann beginnen wir mit der Abfragung Ihrer persönlichen Daten. Bürgernummer?«
»3047846549832710456.«
»Name?«
»Kautzmann.«
»Vorname?«
»Josef.«
»Geburtsdatum?«
»25A4507.«
»Momentanes Alter?«
»Einundzwanzig Jahre.«
»Geburtsort?«
»Bauamt.«
»Wirklich? Das existiert noch?«
»Ja. Maßnahmen und Neustrukturierung und so weiter.«
»Ah, okay. Wohnort?«
»Finanzamt.«
»Momentane Arbeit?«
»Mitarbeiter des Finanzamtes, Sektor-C – Steuerangelegenheiten für Kleingewerbe im Quadranten D4.«
»Hätte Sie schlimmer treffen können. Augenfarbe?«
»Grün.«
»Haarfarbe?«
»Blond.«
»Größe?«
»177cm.«
»Ziemlich klein, aber egal. Die Daten stimmen. Bevor ich Ihnen aber das gelbe Papier C3409-A aushändigen kann, benötigen Sie das Dokument F9817-G-6.«
»Wirklich?«
»Ja, so steht es geschrieben.«
»Und … wo bekomme ich das her?«
»Büro Nummer 4.«
»In diesem Gang?«
»Nein, natürlich nicht. Gemeint ist das Büro Nummer 4 im zweiten Stockwerk.«
Mich grauste es davor, die ganze Stufen wieder hoch und runter zu rennen, aber ich nickte.
Ich wollte gerade gehen, als der Beamte rief: »Halt! Sie benötigen noch den amtlichen Beweis!«, er holte aus einer seiner Schreibtischschubladen zwei Papiere und reichte sie mir. Ich bedankte mich und ging.
Ich rannte wie der Teufel die Treppen hinunter, der Gang war nahezu identisch wie der davor. Ich hoffte, dass sich das Spiel von vorhin nicht noch einmal wiederholte. Mein Zeitgefühl hatte ich schon längst verloren. Wie lange war ich hier? Eine Stunde? Zwei? Drei? Es war schwer zu sagen.
Das Büro Nummer 4 war schnell gefunden. Ich klopfte, jemand bat mich herein und die Standardprozedur spielte sich wie am Tonband ab.
»Ihr Anliegen?«
»Ich benötige für das gelbe Papier C3409-A das Dokument F9817-G-6, um das Dokument B4097 zu besorgen, damit ich meinen Personalausweis erneuern kann.«
»Führen Sie amtliche Beweise bei sich?«
Ich händigte sie aus, er las sie und gab sie mir zurück.
»Gut, beginnen wir mit der Erfassung ihrer Daten.«
Ich seufzte.
»Bürgernummer?«
»3047846549832710456.«
»Name?«
»Kautzmann.«
»Vorname?«
»Josef.«
»Geburtsdatum?«
»25A4507.«
»Momentanes Alter?«
»Einundzwanzig Jahre.«
»Geburtsort?«
»Bauamt.«
»Das gibt es …«
»Ja, das gibt es noch! Es wurde wiederaufgebaut, okay?«
»Verstehe. Ist kein Grund so passiv-aggressiv zu sein. Wohnort?«
»Finanzamt.«
»Momentane Arbeit?«
»Mitarbeiter des Finanzamtes, Sektor-C – Steuerangelegenheiten für Kleingewerbe im Quadranten D4.«
»Kein Wunder, ihr Finanzbeamte seid doch alle kurz angebunden. Augenfarbe?«
»Grün.«
»Haarfarbe?«
»Blond.«
»Größe?«
»177cm. Kann ich jetzt bitte das Dokument F9817-G-6 bekommen?«
»Nein.«
»Nein? Wieso nicht?«
»Sie müssen zuerst eine Nummer ziehen und sich in dem Warteraum begeben.«
»Aber … hier ist doch niemand. Warum soll ich eine Nummer ziehen?«
»Zweifeln Sie etwa an der Richtigkeit des Systems?«
»Nein …«
»Gut, dann ziehen Sie Ihre Nummer und warten Sie«, der Ton wurde rauer, der Blick finsterer.
»Wo ist der Warteraum?«
»Gang hinunter. Es gibt bloß eine Tür, es sollte selbst für einen Finanzbeamten möglich sein, das nicht zu verpassen.«
Ich nickte erschöpft und verließ das Büro. Der Flur erschien mir viel länger als zuvor, vielleicht lag das an meinen müden Knochen, die viele Rennerei hatte mich ziemlich erschöpft. Doch ich konnte es auch nicht ändern, Gesetz war schließlich Gesetz. Ich öffnete die Tür zum Warteraum, das Zimmer war viel größer als erwartet. An den Wänden waren links und rechts reihenweise gepolsterte Stühle aufgereiht. In der Mitte stand ein niedriger Tisch, auf denen Blätter mit Amtskundgebungen verteilt waren. In alten Tagen sollen dort auch Zeitschriften gelegen haben.
An der mir gegenüberstehenden Wand war ein Apparat, der Zettel mit Nummern ausspuckte, darüber war eine Anzeige. Momentan war die Nummer 3048 dran. Ich ging zum Gerät, drückte auf den roten Knopf, sofort wurde ein schmaler Zettel mit der Zahl 7912 ausgedruckt. Ich seufzte und setzte mich niedergeschlagen auf einen der Stühle auf der linken Seite des Warteraums.
Sofort fiel mir auf, dass auf der gegenüberliegenden Wand ein Porträt unseres Staatsoberhauptes, dem PRINCEPS OFFICIALIS, dort hing. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, an der Wand, wo auch ich saß, hing ebenfalls ein solches Gemälde. Also egal, wo man sich hinsetzte, die tiefen, allwissenden Augen unseres großen Anführers starrten in unsere flachen, unwissenden. Das Staatsoberhaupt war ein älterer Mann mit kurzen, braunen Haar. Sein Gesicht war glatt, perfekt rasiert, wie es vom Gesetz verlangt wurde. Sein Blick war eisern und autoritär. Es war ein Blick, der sagte: »Ich mache die Arbeit, egal wie hart sie ist!«
Er trug denselben grünen Anzug, wie ihn alle Beamten trugen, doch seiner wirkte um Längen eleganter und luxuriöser, er passte wie maßgeschneidert.
Niemand kannte den wahren Namen des Oberhauptes, denn sobald es zum PRINCEPS OFFICIALIS ernannt wurde, legte es seinen bürgerlichen Beamtennamen ab, um zu symbolisieren, dass der Anführer der Amtsföderation sich nun vollends der Arbeit hingab, sein altes, minderwertiges Leben vergaß und nun nach Höherem strebte. Das Staatsoberhaupt war der höchste Mann im Staat, der Erste Diener, der Erste Beamte.
In letzter Zeit, seit ungefähr fünf Jahren, war das Oberhaupt nur noch selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Normalerweise hielt es immer eine Rede zum Jahrestag der Gründung der Amtsföderation und zu den vier Gedenktagen der Behördenkriege. Doch in den letzten fünf Jahren war dies nicht der Fall, stattdessen wurde nur eine Tonbandaufnahme abgespielt.
Es gab mal einen Attentatsversuch durch sogenannte »Anti-Beamte« oder »Anti-Staatler« auf unser glorreiches Staatsoberhaupt, sie sollen angeblich sehr nah herangekommen sein. Seitdem soll sich unser Anführer tief in das Gebäude des Regierungsamtes zurückgezogen haben, solange bis die Gefahr endgültig vorbei war.
Nach einiger Zeit strömten noch andere Leute in den Warteraum, die ebenfalls Nummern zogen. Nach gefühlt mehreren Stunden war der Raum brechend voll, die Nachzügler mussten entweder stehen oder sich auf den Boden setzen. Es war ein Meer aus dunkelgrünen Anzügen. Jetzt wo ich mit all diesen Bürgern auf engsten Raum zusammen saß und ich sie näher betrachten konnte, fiel mir auf, wie ähnlich wir uns doch alle sahen. Ich spreche nicht nur von der Kleidung, bei der es sowieso keine Unterschiede gab, schließlich besagte §3 des »Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kleidung innerhalb der Amtsförderation«, dass allen Bürgern derselbe Anzug zur Verfügung gestellt und getragen werden soll, die Ausnahme war bei bestimmten Berufsgruppen wie der Polizei, den Richtern, den Busfahrern, den LKW-Fahrern, den Wachmännern, den Reinigungskräften und so weiter. Sie mussten spezielle Uniformen tragen. Doch abgesehen davon trugen wir alle dieselbe Kleidung, laut Gesetzestext soll das die Diskriminierung reduzieren und einen Zustand absoluter Gleichheit und Brüderlichkeit zwischen den Bürgern hervorrufen.
Und es funktionierte! Es gab keine Rangunterschiede, keine Unterschiede im Wohlstand. Na gut, mit Ausnahme von speziellen Berufsgruppen, die Sonderprivilegien besaßen. Zum Beispiel durften nur militärische und paramilitärische Einheiten Waffen tragen, nur Bus- und LKW-Fahrer durften Führerscheine erwerben und besitzen, nur Forschungskräfte und Dozenten war der Besuch einer Universität gestattet. Und sobald ich das richtig verstanden hatte, waren Richter, Staatsanwälte und Regierungsbeamte in einer höheren Gehaltsklasse als der Rest von uns. Angeblich besaßen sie sogar eigene, private Wohnhäuser. Und mussten nicht in schier endlosen Wohnblockreihen leben, wo jedem eine Zwei-Zimmerwohnung zugeteilt wurde.
Aber abgesehen davon waren wir alle gleich!
Doch ich meinte nicht nur bezogen auf die Kleidung. Auch unsere Gesichtsstrukturen, unsere Größen, unsere Körper ähnelten sich sehr stark. Hätten wir nicht alle unterschiedliche Augen- und Haarfarben und Frisuren, könnte man uns dann unterscheiden? War das eigentlich ein beabsichtigter Effekt? Zielte die Gleichheit nicht nur auf die soziale und wirtschaftliche Stellung ab, sondern hatte sie auch einen biologischen Aspekt? Wollte uns der Staat …
»Entschuldigen, Sie?«, der Herr neben mir riss mich aus meinen Gedanken. Er hatte sich zu mir rüber gebeugt und hielt mir seine Wartekarte hin.
»Ja?«, fragte ich verdutzt.
»Welche Nummer haben Sie?«
»Meine Nummer?«, ich schaute auf meine Karte, denn ich hatte es bereits vergessen. »Ich habe die Wartenummer 7912. Wieso?«
Er schaute mir tief in die Augen und sagte mit zittriger Stimme: »Wollen Sie vielleicht tauschen? Ich habe die Nummer 10453 und ich muss dringend wieder zur Arbeit zurück. Ich bin hier, weil ich meinen Wohnort gewechselt habe, Schwierigkeiten mit den Nachbarn, ständig tropfte es in die Wohnung, Sie verstehen? Und ich musste mich ummelden. Jetzt sitze ich hier und sehe, wie lange ich eigentlich noch warten muss. Es ist …«, er wischte sich über die feuchte Stirn, »… Es ist zum Mäusemelken. Ich habe keinen freien Tag bekommen, deswegen habe ich mich von der Arbeit kurz entfernt …«
»Sie haben sich unerlaubt von der Arbeit geschlichen?«, sagte ich etwas lauter.
Sofort griff er an meine Ärmel und zischte mich an: »Nicht so laut, nicht so laut, bitte! Sie wissen nie, wer zuhört«, er klang plötzlich sehr verängstigt, »Gott, Sie haben meinen Schwager bereits abgeführt. Er hat … eigentlich ist es ganz witzig … Er, er soll im Schlaf geredet haben … und, und was er sagte, war wohl … nicht staatskonform. Ich kann es mir gar nicht vorstellen, er war so ein gesetzestreuer Bürger, er würde das nie tun. Niemals! Aber … aber eines Nachts klopften sie, also die Söldner des Justizamtes, Sie kennen sie ja, also die Paragrafensöldner klopften an unserer Tür, er hatte für ein paar Tage bei uns gelebt, er hatte Schwierigkeiten mit Schädlingen, aber eigentlich darf ich das gar nicht sagen, aber er lebte bei uns … und … und … und sie nahmen ihn mit. Deswegen«, er holte tief Luft, »ich darf mich nicht erwischen lassen bei diesen doch sehr offensichtlichen Regelverstoß. Meine Frau … Sie könnte das nicht ertragen, sie hat ein zartes Gemüt. Erst ihr Bruder und dann ich. Könnten Sie sich das vorstellen? Also … Könnten Sie mir einen Gefallen tun? Können wir Nummern tauschen? Ihre Nummer ist gleich dran! Dann kann ich wieder schnell zur Arbeit zurückgehen, ohne das jemand was bemerkt! Bitte, ich flehe Sie an!«
Ich schaute ihn mit Entsetzen an. Dieser Mann hatte mehrere Gesetze gebrochen und jetzt gestand er es alles auch noch. Was für ein leichtsinniger Narr! Was ist, wenn ein IM zufällig hier war? Dann wäre keinen von uns beiden geholfen. Ich schaute zum Zähler, dort stand: 7911. Ich war gleich dran. Ich musste jetzt ruhig bleiben, ich durfte mir nichts anmerken lassen.
»Mein Herr«, begann ich, »ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie gerade mehrere Gesetze brechen …«
Seine Augen füllten sich mit Wasser. Er stammelte: »Ja, ich weiß, ich weiß … Oh Gott. Aber … Sie müssen verstehen, verstehen Sie doch … Ich kann mir das nicht erlauben. Ich kann nicht, ich kann nicht … Verstehen Sie doch!«
»Das Tauschen von Nummern ist untersagt, siehe hierfür §987 Absatz 75 des StGBdA.«
»Ich weiß, ich weiß! Ich kenn das Gesetz doch auch! In- und auswendig! Ich arbeite im Justizamt! Ich kenne die Mechanismen! Bitte … Ich kann mir das nicht erlauben!«
»Ich kann das nicht machen …«
Seine Lippen begannen zu beben, Tränen rollten sein Gesicht hinunter.
»Tun Sie mir das nicht an … Ich will nicht, dass sie kommen. Ich will nicht, dass sie nachts an meiner Tür klopfen. Ich will nicht, in irgendeinem Gefängnis verrotten. Ich weiß, was dort passiert. Ich weiß, was mit den Leuten passiert!«
»Welche Position haben Sie denn?«, ich schaute unauffällig zum Zähler hin.
»Ich … Ich bin der Assistent eines Strafverteidigers. Deswegen … Ich kenn mich aus! Bitte, helfen Sie mir!«
Der Zähler sprang auf 7912. Sofort richtete ich mich auf und versuchte, ohne großes Aufsehen den Raum zu verlassen. Zeitgleich schmiss sich der Mann auf dem Boden, umklammerte meine Beine und schrie verzweifelt: »Bitte gehen Sie nicht! Gehen Sie nicht! Gehen Sie nicht! Ich brauche diese Nummer! Ich brauch sie!«, er schrie und weinte jämmerlich. Die anderen Leute im Raum begannen sich zu uns umzudrehen, schließlich machten wir eine Menge Lärm. Nun wurde es gefährlich für mich.
Ich flüsterte: »Reißen Sie sich bitte zusammen! Merken Sie denn nicht, was für einen Tumult Sie verursachen?«
Doch der Mann wollte nicht hören, er war völlig hysterisch. Ich tat etwas, was ich ungern tat und trat ihm mitten ins Gesicht. Sofort löste sich sein Griff und ich konnte aus dem Warteraum fliehen. Ich hörte noch, wie er schrie: »Tun Sie mir das nicht an! Tun Sie mir das bitte nicht an!«, bevor die Tür zufiel und jedes weitere Geräusch abwürgte.
Ich atmete erleichtert aus und richtete meinen Anzug. Wenigstens hatte der Mann nichts kaputt gemacht. Ich wollte mein Monatsgehalt nicht für Kleiderreparatur verschwenden. Ich ging zurück ins vierte Stockwerk. War es Büro Nummer 5, wo ich hinmusste? Wahrscheinlich, war sicherlich richtig. Ich klopfte und eine Stimme rief: »Herein!«, und ich trat, wie befohlen, hinein.
Das Büro sah genauso aus wie jedes andere auch. Aber war es auch der gleiche Beamte? Ich war mir nicht sicher.
»Ihr Anliegen?«
»Aber das müssen Sie doch wissen, ich war doch vorhin bei Ihnen …«
»Wirklich?«, er hob eine Augenbraue, »Kann mich nicht erinnern.«
»Aber …«
»Hören Sie, es kommen täglich hunderte von Leuten in mein Büro. Meinen Sie, dass ich mir jedes einzelne Gesicht merke? Also sagen Sie mir Anliegen oder verpissen Sie sich, ich habe eine Menge zu tun.«
Ich seufzte: »Ich benötige für das gelbe Papier C3409-A das Dokument F9817-G-6, um das Dokument B4097 zu besorgen, damit ich meinen Personalausweis erneuern kann, glaube ich.«
»Glauben Sie oder wissen Sie es?«
»Ich … Ich weiß es.«
»Gut, haben Sie einen amtlichen Beweis?« Ich reichte ihm die Papiere, er las sie sich durch, händigte sie mir zurück und sagte: »Schön, dann können wir mit der Personaldatenabfragung starten!«
»Muss das denn wirklich sein?«
»Muss ich erst die entsprechenden Paragraphen zitieren? Bürgernummer?«
»Aber ich habe doch bereits Ihnen meine Personaldaten gesagt!«
»Gesetz ist Gesetz«, die Stimme des Beamten war kalt und erbarmungslos, »Sie wollen doch nicht etwa unsere Gesetze kritisieren, oder? Unser System ist schließlich perfekt. Das effizienteste System seit dem Ende der Alten Welt. Also … Kritisieren Sie unser System, unseren Staat, unsere Heimat
»Nein … das tue ich nicht«, gab ich kleinlaut zu verstehen.
»Gut. Ich möchte mich nicht nochmal wiederholen: Bürgernummer?«
»3047846549832710456.«
»Name?«
»Kautzmann.«
»Vorname?«
»Josef.«
»Geburtsdatum?«
»25A4507.«
»Momentanes Alter?«
»Einundzwanzig Jahre.«
»Geburtsort?«
»Bauamt.«
»Bauamt? Erstaunlich …«
»Ja, wurde wiederaufgebaut.«
»Interessant, hätte ich nicht gedacht. Wohnort?«
»Finanzamt.«
»Momentane Arbeit?«
»Mitarbeiter des Finanzamtes, Sektor-C – Steuerangelegenheiten für Kleingewerbe im Quadranten D4.«
»Augenfarbe?«
»Grün.«
»Haarfarbe?«
»Blond.«
»Größe?«
»177cm.«
»Sehr schön«, er grinste mich an, »war doch gar nicht so schlimm, oder?«
»Können Sie dann mir das Dokument geben?«
»Natürlich, ich muss nur …«, ein ohrenbetäubender Klingellärm ertönte plötzlich.
»Ups. Mittagspause!«
»Was … Was soll das heißen?«, stammelte ich.
»Es ist Mittagspause. Sie wissen doch, was das bedeutet«, er richtete sich auf und ging los. Als er an mir vorbeikam, sagte er: »Kommen Sie in einer Stunde wieder vorbei. Dann können wir Ihr Anliegen bearbeiten«, aus seiner Stimme erklang der blanke Hohn.
Ich folgte ihm nach draußen, alle Beamten taten es ihm gleich. Wie eine Kolonne marschierten sie zu den Treppen, ein Fluss aus dunkelgrünen Anzügen. Aus irgendeinem Grund musste ich an eine Szene aus meiner Kindheit zurückdenken. Ich war auf dem Schulhof und betrachtete den schuleigenen Komposthaufen, das Projekt einer höheren Klasse. Aus dem Haufen aus Dreck, Gartenabfällen und Essensresten krabbelten hunderte von smaragdgrünen Rosenkäfern. Sie hatten ihr Larvenstadium im Schutze des Kompostes verbracht, nun buddelten sie sich in die vermeintliche Freiheit, um ihr kurzes, bedeutungsloses Dasein zu leben. Fressen, schlafen, sich paaren, sterben. Ich war fasziniert von diesen kleinen Krabbeltieren, sie bedeckten fast den gesamten Haufen, ein Meer aus grünem Chitin.
Ich fand einst ein altes Naturbuch in einer Ruine. Ein Buch, was sich nicht mit Administrationsaufgaben oder Gesetzestexten beschäftigte. Ein Buch mit farbenfrohen Bildern! Und leicht verständlichem Text! Ich liebte dieses kleine Buch, es war mein geheimer Schatz. Die Ruine gab es schon lange nicht mehr, sie wurde platt gewälzt, um Platz für eine Erweiterung des Bauamtes zu machen.
Was blieb mir anderes übrig, als diesem Menschenstrom zu folgen. Vielleicht gab es für mich auch was in der Kantine.
In den Gängen tummelten sich hunderte, tausende von Beamten. Es gab kein Individuum mehr, nur noch eine Masse aus dunkelgrünen Anzügen und ich war mittendrin, einer von ihnen. Eine einzelne Zelle eines gigantischen Organismus.
Auf dem Weg zur Kantine wurde kein Wort gesagt, die einzigen Geräusche waren das Rascheln der Anzugjacken und das Klackern der schwarzlackierten Schuhe auf dem Boden. Für private Unterhaltungen gab es keinen Raum, keine Zeit. Worüber hätte man sich denn schon unterhalten sollen? Niemand war wirklich am Privatleben seiner Kollegen interessiert, denn wie sehr unterschied es sich schon vom eigenen Leben?
Nach ungefähr zehn Minuten erreichten wir die Kantine, ein gewaltiger Raum, wo Abertausende von Menschen Platz finden konnten. In regelmäßigen Abständen waren große Tische mit Sitzbänken montiert worden, an jedem Tisch konnten zehn Beamte sitzen.
Sofort schnappte sich jeder ein Tablet und einen Löffel, ich eingeschlossen, und bildete eine Schlange. Im zügigen Schritt ging es vorwärts. Frauen und Männer in Kantinenuniform teilten das Essen aus. Mit großen silbernen Kellen wurden aus schier bodenlosen Bottichen eine beige Paste hervorgeholt und lieblos auf die Tablets abgelegt, dazu gab es ein Glas Orangensaft. Wobei »orange« eher fehl am Platze war, die Farbe ähnelte mehr der Pampe.
Auch ich bekam eine Portion, obwohl ich hier gar nicht arbeitete, wahrscheinlich war es dem Küchenpersonal ziemlich egal, wer sich hier anstellte. Nach der Essensausgabe suchte ich mir einen freien Platz. Ich dachte mir, dass ich mich zu dem Beamten setze, der mir das nötige Dokument aushändigen soll. Doch diese Hoffnung verflog sehr schnell, in diesem Meer aus Beamten konnte ich kein Individuum herauspicken. Es war einfach nur eine Masse.
Deswegen setze ich mich an den nächstbesten freien Tisch, ein Gespräch war mitten im Gange.
»Hast du schon den neuen §45 in das ›Gesetz zur Übermittlung personenbezogener Daten‹ eingefügt? Du weißt ja, der alte §45 ist laut Direktive der oberen Führung hinfällig.«
»§45? Ich dachte, es war §46?«
»Nein, nein. §46 sollte im ›Gesetz zur Neuanmeldung von Haustieren‹ neurevidiert werden. Da fehlten nämlich noch drei Absätze.«
»War das nicht Thomas seine Aufgabe?«, mischte sich eine dritte Person ein.
»Nein! Thomas ist seit zwei Wochen krankgeschrieben. Der kann sich nicht darum kümmern.«
»Seit zwei Wochen?«, entgegnete eine vierte Person schockiert, »Wie kann der sich das erlauben? Ich musste selbst mit schwerer Grippe hier antanzen und der bekommt zwei Wochen Urlaub!«
»Keine Ahnung … Ich glaube, der hat gute Beziehungen zur Vorgesetztenschicht.«
»Ich hab gehört, dass er in Wahrheit todkrank ist.«
»Im Ernst?«
»Ja, ja. Soll richtig schlimm sein. Angeblich stirbt er bald. Aber die Sache ist … Ähm … unter Verschluss.«
»Was hat er denn?«
»Das hast du nicht von mir«, die fünfte Person schaute sich nervös um und begann dann konspiratorisch zu flüstern, »Ich habe gehört, dass seine Lungen völlig verfallen sein sollen.«
»Verfallen? Inwiefern?«, alle am Tisch flüsterten nun.
»Verfallen im Sinne von ›verschimmelt‹, irgendein Pilz hat sich in seinen Lungen festgesetzt und frisst ihn von innen auf. Übler Kram, ganz übler Kram. Er hat nicht mehr lange …«
»Und von wem hast du das?«, fragte einer zweifelnd.
»Von Charly.«
»Charly wer?«
»Charly Kaufmann.«
»Ach der, der erzählt doch allen möglichen Unfug.«
»Er hat es aber aus einer sicheren Quelle, nämlich von Thomas seiner Frau.«
Die anderen schwiegen.
»Habt ihr eigentlich die neuen roten Papiere A34 gesehen?«, begann einer und damit war das vorherige Thema abgeschlossen.
Ich hörte nur mit halben Ohr hin, während ich teilnahmslos die beige Paste in mir hineinschaufelte. Das Essen hier unterschied sich nicht von dem, was es bei uns in der Kantine im Finanzamt zu essen gab. Es war die gleiche Pampe, die jeder Bürger als Ration zu sich nach Hause geschickt bekam. Sie schmeckte nach nichts, nach absolut gar nichts. Völlig geschmacklos, aber dafür mit allen nötigen Mengen von Fetten, Salzen, Vitaminen, Ballaststoffen, Eiweißen und Kohlenhydraten angereichert. Beim Orangensaft war ich mir nicht mal sicher, ob er wirklich aus Orangen bestand … ich hatte zumindest noch nie eine in der Hand gehabt, geschweige denn eine gesehen.
Für die Zubereitung war das Lebensmittelamt zuständig und die waren über ihre Arbeitsprozesse so verschlossen wie das Justizamt. Angeblich besaßen sie hektargroße Felder, wo die notwendigen Zutaten für die Paste angebaut werden. Doch das waren wie immer nur Gerüchte und es gab keine Möglichkeit zur Bestätigung. Es war so leicht, etwas zu verheimlichen …
Nach einiger Zeit erklang ein lautes Klingeln, das mich aus meinen Gedanken riss. Sofort richteten sich alle anwesenden Beamten auf, nahmen ihr Geschirr, legten es nacheinander auf ein Förderband ab und marschierten wieder zurück zu ihren Arbeitsplätzen. Ohne Gespräche, ohne Gedanken. Die Pause war vorbei, zurück zur Arbeit.
Auch ich machte mich wieder auf den Weg, schließlich musste ich zurück ins Büro, um das Dokument F9817-G-6 endlich zu bekommen.
Ich kehrte zurück in den zweiten Stock … Büro … Nummer … 7? Das musste es gewesen sein, dachte ich.
Ich klopfte dreimal und wie bei den letzten Malen davor, rief eine geschlechtslose Stimme: »Herein!«, und ich ging, wie auch bei den vielen anderen Gegebenheiten, hinein.
»Ihr Anliegen?«
»Haben Sie das schon wieder vergessen?«, ich war leicht erbost über die ständige Schusseligkeit des Beamten.
»Pardon?«
»Wir haben vor der Mittagspause miteinander gesprochen …«
»Haben wir?«
»Ja, haben wir«, mir verging langsam die Lust.
»Worüber?«
»Darüber, dass ich für das gelbe Papier C3409-A das Dokument F9817-G-6 benötige, um das Dokument B4097 zu besorgen, damit ich meinen Personalausweis erneuern kann. Darüber!«
Er kratzte sich am Kopf und sagte dann mit gelangweilter Stimme: »Kann ich mich nicht erinnern …«
Ich seufzte: »Könnte ich wenigstens endlich das Dokument erhalten?«
»Tragen Sie einen amtlichen Beweis bei sich?«
»Wie schon beim letzten Mal … Ja … habe ich«, ich presste die Zähne zusammen. Ich reichte ihm die verdammten Papiere, er schaute sie an, nickte und gab sie mir zurück.
»Beginnen wir mit der Personaldatenabfrage. Bürgernummer?«
»3047846549832710456. Kautzmann. Josef. 25A4507. Einundzwanzig Jahre. Bauamt. Ja, das gibt es noch. Finanzamt. Mitarbeiter des Finanzamtes – Sektor-C Steuerangelegenheiten für Kleingewerbe im Quadranten D4. Grün. Blond. 177cm«, strömte es förmlich aus mir hinaus. Kurz nachdem ich meinen schrecklichen Fehler bemerkte, ich habe schließlich die Prozedur verletzt, schnellte meine Hand zu meinem Mund und hielt ihn zu.
Der Beamte schaute mich mit einem Todesblick an und wiederholte, ganz langsam, seine Frage: »Bürgernummer?«
»3047846549832710456.«
»Name?«
»Kautzmann …«
»Vorname?«
»Josef.«
»Geburtsdatum?«
»25A4507.«
»Alter?«
»Einundzwanzig Jahre.«
»Geburtsort?«
»Bauamt.«
»Wie ich bereits vernahm, gibt es das noch. Momentane Arbeit?«
»Mitarbeiter des Finanzamtes – Sektor-C Steuerangelegenheiten für Kleingewerbe im Quadranten D4.«
»Augenfarbe?«
»Grün.«
»Haarfarbe?«
»Blond.«
»Größe?«
»177cm.«
Er glich die Daten ab. Als er fertig war, sagte er: »Sie wollen also das Dokument F9817-G-6, richtig?«
»Richtig«, ich hatte die Hoffnung, dass meine Reise endlich vorbei war.
»Dafür müssen Sie, den Antrag G92-B stellen.«
Es war zu schön, um wahr zu sein.
»Und wo bekomme ich den her?«
»Ganz einfach. Sie müssen in den Sektor B gehen, ins dritte Stockwerk und dann zum Büro Nummer 49«, erklärte mir der Beamte.
»Und wo ist Sektor B?«
»Sehe ich so aus wie ein Fremdenführer? Im Erdgeschoss ist eine Karte, gucken Sie da gefälligst nach!«, und damit war das Gespräch vorbei. Ich verließ das Büro und machte mich auf den Weg ins Erdgeschoss. Dort fand ich die besagte Karte, die mir aber auch nicht viel weiterhalf, da sie nur aus wirren Linien und Rechtecken bestand. Anscheinend war sie auch nicht mehr aktuell, das auf der Karte abgebildete Gebäude war wesentlicher kleiner, als es eigentlich sein sollte.
Nun denn, dann musste ich es wohl auf gut Glück versuchen. Ich ging nach rechts und durchschritt die massive Eingangshalle. Vom Wachmann war allerdings nichts zu sehen. Ich fragte mich, wo er denn steckte. Wäre er anwesend gewesen, hätte ich ihn vielleicht nach Hilfe fragen können. Schließlich … musste er sich hier doch auskennen, oder? Doch leider war er wie vom Erdboden verschluckt. Hielt wahrscheinlich irgendwo ein Nickerchen.
Ich ging durch die Eingangshalle, mir fielen die riesigen Säulen, die regelmäßig im Raum verteilt waren, auf. Gigantische Pfähle aus Beton, ich schaute nach oben und mir wurde schwindlig. Die Säulen mussten mindestens hundert Meter in die Höhe ragen. Es war, als würde man neben steinernen Titanen stehen. Ihr Durchmesser war auch beachtlich, man hätte mehrere erwachsene Menschen benötigt, um diese Säule vollständig zu umklammern. Die Geschichte der Behördengebäude war lang und verwirrend, die Namen der Architekten unseres Staates waren längst im Nebel der Zeit verloren gegangen. Wer waren diese großartigen Menschen, die diesen glorreichen Staat aus den Ruinen der Alten Welt herausgemeißelt hatten?
Ich ging die Betontreppe in der Mitte der Halle hoch. Nach einiger Zeit kam ich in einem Zwischenraum an, der förmlich aus Balkonen und Treppen bestand. Die Treppen führten hoch, sie führten runter, führten an den Seiten lang, gingen kreuz und quer. Ich sah vereinzelt einsame Beamte, die die kolossalen Stufen erklommen. Von hier oben sahen sie aus wie Ameisen.
Ich stieg eine zufällig gewählte Treppe hinunter. Ich schaute nach oben, da war keine Decke, da nur Licht, dasselbe fluoreszierende, kränklich-weißgrüne Licht wie in den Leuchtstoffröhren in den Gängen. Ich fühlte mich wie in einem meiner Träume, die ich seit einiger Zeit hatte. Dort war ich gefangen in einem Labyrinth aus Treppen, ein Wirrwarr aus Betonstufen, oben wie unten nur Licht, kein Boden, keine Decke. Die Treppen bewegten sich wie Schlangen, pulsierten und schlugen wie lebende Herzen. Der Raum atmete. Jedes Mal erwachte ich schweißgebadet.
Was würden lauschende Ohren vernehmen, wenn ich nachts schlief und sinnlos vor mich hinbrabbelte? Würden sie auch staatsfeindliche Gedanken hören, die aus den Tiefen meines Unterbewusstseins an die Oberfläche gelangt waren? Konnte der Staat meine Träume sehen? Wie einen Film in einem Kino? Würden eines Tages die Paragraphensöldner laut an meiner Tür klopfen, um mich in dunkle Gefängnisse zu schleppen, so wie sie es mit dem Schwager des flehenden Beamten angeblich getan hatten?
Ich erwachte schweißgebadet und konnte nur mit Mühe den Schrei, der in meiner Kehle gefangen war, hinunterschlucken. Jedes Mal stand ich auf, ging in mein winziges Badezimmer und schaltete das Licht an. Die Leuchtstoffröhren strahlten dasselbe kränklich-weißgrüne Licht aus wie die Röhren in den endlosen Hallen, die allesamt in den gleichen Grüntönen angestrichen waren, der Behördengebäude. Ich hörte ihr leises, aber ständiges monotones Summen, das tief in meinen Schädel eindrang, dort bohrte und grub, bis es auch die tiefsten Tiefen meines Nervensystems erreichte, meinen Körper infizierte. Manchmal schloss ich meine Augen und hörte das Summen der Leuchtstoffröhren, selbst wenn sie ausgeschaltet waren, selbst wenn ich draußen fernab jeglicher Technik war. Das Summen begleitete mich, es war ein Teil von mir geworden.
Ich sah in meinen schmierigen Spiegel, den ich seit Wochen nicht mehr geputzt hatte, ich sah das zerzauste blonde Haar, das langsam verblasste und grau wurde, ich sah die schwachen, grünen Augen, die längst das freudige Funkeln verloren hatten. Ich sah jede einzelne Falte, ich sah meine Augenringe. Ich war einundzwanzig, doch genauso gut hätte ich achtzig sein können.
Fraglich, ob ich überhaupt dieses magische Alter erreichen werde. Die meisten Menschen in der heutigen Zeit konnten froh sein, wenn sie die siebzig oder gar die sechzig erreichten. Die meisten starben bereits weit davor. Meinen Vater raffte es mit fünfzig dahin. Am Ende war er nur noch eine Hülle, glich mehr einer exhumierten Leiche als einen lebenden Menschen. Ob es beabsichtigt war?
Ich schaute in den Spiegel, müde und erschöpft, ich drehte den Hahn auf. Kaltes, kalkhaltiges Wasser kam heraus, ich spritzte es mir ins Gesicht. Erfrischend. Mein Bruder hatte sich mit siebzehn vom Dach des Umweltamtes gestürzt. War schwer ihn zu identifizieren. Er wurde zu einer weiteren Zahl in einer großen, unübersichtlichen Tabelle in irgendeiner Statistik.
Ich dachte mehr als nur einmal daran, auch zu so einer Nummer zu werden. Inmitten all dieser anonymen Todesstatistiken würde ich eventuell endlich Ruhe und Frieden finden.
Ich wischte diesen Gedanken sofort weg. Ich musste mich auf meine Aufgabe konzentrieren, das Ziel war doch schon zum Greifen nah! Ich brauchte nur den Antrag G92-B für das Dokument F9817-G-6, um das gelbe Papier C3409-A zu erhalten, damit ich das Dokument B4907 bekomme, um endlich meinen Personalausweis erneuern zu können. Nur noch Antrag B-92G für das Dokument F8971-G-6, um das gelbe … oder das rote? Papier Z3409-A zu bekommen, damit ich Antrag G92-B stellen kann, um das Dokument B4809 zu bekommen, damit ich mit dem violetten Papier A45 zu Büro Nummer 12 im dritten Stockwerk im Quadranten B gehen kann, um endlich das gelbe Dokument B4907 zu erhalten, damit ich endlich … meinen Personalausweis erhalten kann.
Ich brauche nur das Dokument »Weiß ich nicht«, damit ich Antrag »XY« stellen kann, um das gelbrotblaue Papier »Zum Geier nochmal« in die Hand gedrückt zu bekommen, damit ich … damit ich was? Damit ich was tun kann? Ich brauche nur das Dokument …
Ich öffnete meine Augen, ich war völlig in meinen wirren Gedanken verloren, ich hatte nicht einmal bemerkt, wo ich eigentlich hingelaufen war. Ich schaute mich um: Ich war in einen der vielen Gänge gelandet, die mit dem dunkelgrünen Anstrich. Wieder auf jeder Seite Türen, die zu den immer gleichen Büros führten. Diesmal waren aber keine Nummern abgebildet, da war nichts. Die Leuchtstoffröhren summten teilnahmslos vor sich hin, verbreiteten ihr hässliches kränklich-weißgrüne Licht. Ob die ständige Photonenbestrahlung uns alle krank machte?
Ich ging den Gang hinunter und öffnete die Tür, dahinter war ein weiterer Gang, wieder mit Türen auf jeder Seite, wieder ohne Markierungen. Nur Leuchtstoffröhren, die summten und summten und Strahlung verbreiteten.
Ich rannte den Gang hinunter, riss die Tür auf und wieder war es nur ein Gang. Ich öffnete die Türen zu den Büros, doch da war nichts, nur ein leerer Raum mit abgestandener Luft. Ich öffnete die nächste Tür und die nächste Tür und die nächste Tür und die nächste Tür. Nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Nichts, nichts, nichts, nichts!
Nichts als leere grüne Räume, nichts als ununterbrochenes Summen von Leuchtstoffröhren. Wo war ich hier gelandet? Was war das für ein Ort? Wahrscheinlich ein Teil des Gebäudes, der noch gebaut wurde, ein neues Abteil, eine weitere krebsbefallende Zelle dieses ewig wachsenden Tumors.
Ich versuchte erneut mein Glück und riss eine Tür auf. Diesmal landete ich in einer großen Halle. Über mir waren Treppen und Balkone zu sehen, ganz oben nur das weißgrüne Licht. Ich atmete erleichtert aus, in meiner Gedankenlosigkeit musste ich wohl unbewusst in der untersten Etage gelandet sein, wahrscheinlich war ich wirklich nur in einen unter Baumaßnahmen stehenden Teil des Gebäudes. Es gab keinen Grund zu zweifeln. Alle Gesetze liefen perfekt. Meine Alpträume waren nur Hirngespinste.
Ich sah einen Beamten, der auf einer schwarzen Bank saß, sein Oberkörper war von einer Zeitung verdeckt. Seltsam, hatte er etwa Pause? Ich schritt zu ihm hin, er las im »Amtsblatt«, der einzigen zugelassenen Zeitung der Amtsföderation. Alle anderen Zeitungen, in der Regel nichts weiter als Revolver- und Schundblätter, wurden vor vielen Jahren im Zuge des »Gesetzes zur Vereinheitlichung und Systematisierung der Medienlandschaft zur besseren Kontrolle von Wahrheitsgehalten« verboten. Aber wer brauchte schon Dutzende von Zeitungen, wenn in einer alles Wichtige drin stand? Das »Amtsblatt« wurde vom Öffentlichkeitsamt herausgegeben, stand aber seit geraumer Zeit informell unter der Kontrolle des Justizamtes, siehe hierfür §1 des »Gesetzes zur Bekämpfung von Falschnachrichten und Verhinderung anti-staatlicher Propaganda«. Das Justizamt wollte sichergehen, dass die Bürger nicht mit »Unwahrheiten« belästigt werden. Manche von diesen »Unwahrheiten« könnten unschuldige Beamte dazu verleiten, an der Richtigkeit des Systems zu zweifeln. Aus diesem Grund hatte das Justizamt speziell dafür geschulte Mitarbeiter in das Öffentlichkeitsamt entsendet, damit sie den hart arbeitenden Beamtenjournalisten über die Schulter schauen.
Dass das Justizamt angeblich ab und zu solche subversiven »Unwahrheiten« in das »Amtsblatt« mischte, um die Loyalität der Bürger zu testen, war natürlich nur ein Gerücht.
»Guten Tag«, begrüßte ich den Beamten. »Ich muss zugeben, ich habe mich ein wenig verlaufen. Könnten Sie mir vielleicht sagen, wo es zum … Ich weiß es, ehrlich gesagt, gar nicht mehr so genau … Vielleicht wo es zur Eingangshalle geht?«
Er antwortete nicht, er reagierte nicht einmal.
»Entschuldigung?«
Keine Reaktion.
»Hören Sie mich?«
Nichts.
Ich spürte, wie in mir langsam die Wut hochkroch. Ich näherte mich ihm mit erbosten Schritten und riss ihm die verdammte Zeitung aus den Händen.
»Entschuldigen Sie mal …«, ich erstarrte mitten im Satz.
Es gab einen Grund, warum er mir nicht antwortete, denn dazu brauchte man ein entsprechendes Organ. Stattdessen hatte der Herr Beamte nur ein paar klickende, grüne Mandibeln und Fühler im Gesicht, die sich unablässig bewegten. Statt normale Augen starrte mich ein Mosaik aus grünen Facetten an. Unter den Dämonenaugen konnte ich dunkelblaue Augenringe erkennen.
Sämtliche Farbe wich aus meinem Gesicht, meine Beine fühlten sich wie die beige Paste an. Ich trat ein paar Schritte zurück und stammelte: »Ich … ich wollte Sie nicht … tut … tut mir«, ich konnte den Anblick nicht länger ertragen. Diese traurigen, dunkelgrünen Augen starrten förmlich in meine Seele.
Der Beamte streckte eine Hand nach mir aus. Er versuchte, etwas zu sagen, doch es kamen nur röchelnde Geräusche heraus. Ich rannte davon und schaute nicht zurück. Ich konnte und wollte es nicht. Anscheinend war die Höllenreise noch nicht vorbei.
Beinahe blind sprang ich förmlich durch die Tür, die mich hoffentlich zum Ausgang führte, doch das war ein Trugschluss. Stattdessen landete ich in einem industriellen Fabrikbereich, wusste gar nicht, dass es sowas überhaupt gab. Ich stand mitten auf einem Geländer, unter mir nur weitere Geländer und der tiefe Abgrund, über mir waren ebenfalls Metallgeländer, die zu unmöglichen Orten führten. Eine Decke konnte ich nicht erkennen. Zu meiner linken und rechten Seite waren Förderbänder. Reihenweise standen dort Menschen, dicht an dicht, reglos wie Schaufensterpuppen. Sie alle waren genauso entstellt wie der Beamte davor.
Unbekannte Maschinen dröhnten und brummten, arbeiteten schwer tief unter mir. Ich ging weiter, nach einiger Zeit kam ich an einem Knotenpunkt an, eine Art Kreuzung, wo in der Mitte ein »Häuschen« stand. Ein viereckiges Gebäude aus Wellblech, an jeder Seite Fenster. Wenn eine Person drin gesessen hätte, hätte sie einen 360-Grad-Blick gehabt. Im Inneren erblickte ich seltsame Apparaturen, Schalthebel, eine Vielzahl an Knöpfen.
Ähnlich wie die gigantischen Betontreppen gingen die Förderbänder kreuz und quer durch diese anomale Fabrikhalle. An manchen Punkten waren Kräne mit Greifarmen angebracht, die im Sekundentakt die leblosen Beamten schnappten und sie auf ein neues Förderband packten. Woher kamen all diese Menschen her? Das müssten doch tausende gewesen sein.
Ich ging die »Straße« weiter, begleitet vom unheilvollen Dröhnen unbekannter Titanen, bis ich eine große Stahltür fand. Dort erwartete ich mich der nächste Schrecken.
Statt des schmutzigen Industrielooks blendete mich nun ein strahlendes Weiß. Die Halle sah aus wie ein riesiges Laboratorium. Das Geländer war nun nicht mehr aus rostigem Metall, sondern aus Hartplastik. Statt Förderbänder hingen … es gab kein anderes Wort … »Eiersäcke« von der Decke. In dem Kinderbuch wurde auch beschrieben, wie manche Insekten sich fortpflanzten, wie sie ihre Unmengen von Eiern an Unterseiten von Blättern klebten.
Es waren grüne, runde Kammern und irgendetwas Schwarzes war in ihnen drinnen. Aus meiner Position war es recht schwer zu erkennen, doch ich schwörte darauf, dass in diesen »Eiern« Menschen steckten, oder zumindest etwas Menschenartiges. Ob diese Einrichtung gesetzeskonform war?
Vereinzelt sah ich weit entfernte Männer in weißen Laborkitteln, die die Eiersäcke begutachten. In ihren behandschuhten Händen hielten sie Klemmbretter, ihre Gesichter waren von Gasmasken und Schutzbrillen verdeckt, zumindest hoffte ich das. Ab und zu flog eine Drohne vorbei und schien das Innere der Kammern zu scannen. Wieder konnte ich weder eine Decke noch einen Boden erkennen.
»Haben Sie sich verlaufen?«
Ich erschrak, ich war so sehr in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht einmal bemerkte, wie sich jemand angeschlichen hatte. Ich drehte mich zur Person um und wollte ihr gerade antworten, als ich mitten in der Bewegung einfror. Vor mir stand kein Mensch, zumindest kein richtiger. Es war ein Käfer, der auf vier kurzen Beinen lief. Er war ungefähr halb so groß wie ich, trug denselben grünen Anzug wie alle anderen Beamten, doch da hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Große Facettenaugen starrten mich an, die Fühler und Mandiblen, diese schrecklichen Fresswerkzeuge, bewegten sich unkontrolliert.
»Haben Sie sich verlaufen?«, fragte er noch einmal. Seine Stimme ähnelte dem Klicken von Zahnrädern. Ein Schauer lief meinem Rücken hinunter, ich bekam eine Gänsehaut auf den Armen.
»Oh«, der Kopf des Käfers neigte sich zur Seite, »ich vergaß. So etwas wie mich erblicken Sie wahrscheinlich nicht oft, nicht wahr? Ich kann es Ihnen nicht verübeln. Als ich das erste Mal mich selbst im Spiegel betrachtete, bekam ich auch einen gehörigen Schrecken«, er lachte. Welch grässliches Geräusch.
»Mein Name ist Cornelius«, er reichte mir seine mit scharfen Klauen bewehrte Hand. Ich schaute sie nur fassungslos an. Er zog sie, etwas peinlich berührt, wieder zurück.
»Sie scheinen sich verlaufen zu haben. Normalerweise haben Leute wie Sie keinen Zutritt zu diesen Einrichtungen, also nahm ich an, dass Sie sich verlaufen hatten. Da müssen Sie sich nicht schämen, passiert jeden mal. Obwohl es eigentlich unmöglich sein sollte, in diesen Quadranten hier einzudringen.«
»Ich«, nun fand ich endlich meine Stimme wieder, »wollte meinen Personalausweis erneuern.«
Der Käfer schaute mich an, zuckte nur mit den »Schultern« und sagte: »Ach, ist das so? Folgen Sie mir.« Ich war mir nicht sicher, ob er mich jetzt zu meinem Ziel führen oder mich einfach hinausbegleiten wollte, aber ich tat, was er sagte. Was blieb mir auch anderes übrig? Ich fühlte mich wie in einem Fiebertraum. Vielleicht war ich in einem. Ich kniff mir in den Arm, die Schmerzen und das darauffolgende »Au« bewiesen mir, dass es sich hier um die Realität handelte.
Mein Begleiter drehte sich um, wenn sein Gesicht hätte Verwirrung zeigen können, hätte es dies getan. Er fragte: »Pardon?«
»Alles okay. Musste … Musste nur sichergehen«, erklärte ich stammelnd.
»Verstehe«, antwortete er und drehte sich wieder um.
Trotz seiner kurzen Beine war er relativ flott unterwegs, lag vielleicht an der Anzahl. So schwerfällig, wie er aussah, hätte ich es ihm gar nicht zugetraut.
Nach einiger Zeit erreichten wir eine Metalltür. Der Käfer drückte auf einen Knopf und die Tür glitt auf. Wir gingen hinein. Es war eine silberne Kammer, mit einem Spiegel an der Rück- und unzähligen Tasten an der Seitenwand.
»Ein funktionierender Fahrstuhl?«, fragte ich verblüfft.
»Sonderpersonenaufzug«, erklärte mein Begleiter nur knapp.
Wir schwiegen für einige Zeit, doch dann konnte ich meine Fragen nicht mehr zurückhalten.
»Wer sind Sie?«
»Cornelius, wie ich bereits erwähnte.«
»Ja, das ist mir bewusst. Aber … warum …«
»Warum ich wie ein Käfer aussehe?«
»Ja.«
»Und was es mit diesen seltsamen Fabrikhallen und Laboren auf sich hat?«
»Ja!«
»Lange Geschichte.«
»Haben wir Zeit dafür?«
»Ein wenig. Der Sonderpersonenaufzug benötigt noch einige Zeit, bis er sein Ziel erreicht. Also«, der Käfer … ich meinte, Cornelius schaute zu mir hoch, »Mein Name ist Cornelius. Cornelius Robert Schultze. Bürgernummer … nicht so wichtig. Sparen wir uns die Standardprozedur. Ich arbeite … oder eher arbeitete für das Forschungsamt, Sektor B – Biogenetik. Ich war Leiter von Projekt ›METAMORPHOSIS‹, eine neuartige, und wenn ich das mal so sagen darf, radikale Maßnahme zur, und ich zitiere: ›Steigerung der Effizienz und Gehorsamkeit der Bürger und Mitarbeiter der Amtsförderation durch erzwungene biogenetische Mutationen.‹«
»Okay, und das bedeutet was genau?«, ich war ratlos.
»Ähm … Eine Verwandlung … zu einem Insekt, genau genommen zu ›Cetonia aurata‹, dem Goldglänzenden Rosenkäfer, auch bekannt als Gemeiner Rosenkäfer oder Smaragdkäfer.«
Ich schaute Cornelius fassungslos an.
»Was denn? Das sind wunderschöne Tiere, finden Sie nicht? Die Menschheit sollte danach streben, eine solch perfekte Schönheit zu erreichen. Doch das waren nur ästhetische Kleinigkeiten meinerseits, im Vordergrund standen andere Faktoren wie Gehorsamkeit, Effizienz, Arbeitswille, Ausdauer, Widerstandsfähigkeit, Kurzlebigkeit. Weshalb wir auch verschiedene Arten von Ameisen, Bienen, Hummeln, Wespen und Termiten in die Grund-DNA hinzufügten.«
»Aber … warum?«
»Ich wollte einen neuen Menschen erschaffen. Den perfekten Arbeiter. Resistent gegen alle Umwelteinflüsse. Absolut gehorsam. Keine Notwendigkeit mehr für Schlaf, Freizeit oder luxuriöse Behausungen. Geringer Nahrungsverbrauch. Keine Gedanken außer an die Arbeit. Kurzlebig. Zusammengefasst: eine effiziente biologische Maschine. Ein neuer Beamtentypus, eine neue Generation unserer Rasse, wo alle Fehler ausgemerzt wurden.«
»Das klingt nach Wahnsinn«, nun war ich nicht nur rat-, sondern auch fassungslos.
»Mag sein.«
»Und Sie … sind der Prototyp dieser neuen Rasse?«
»Das ist eher unbeabsichtigt.«
»Wie kommt’s?«
»Mein Projekt war nicht durch gegebene Gesetze gedeckt, ich handelte eigenständig, außerhalb existierender Paragraphen.«
Ich zog die Luft scharf ein.
»Ja, ja«, entgegnete Cornelius, »ein Kapitalverbrechen. Quasi Hochverrat. Ich habe auf eigene Faust gehandelt und Gesetze missachtet. Zum Teufel mit ihnen! Zum Teufel mit ihren Vorschriften, ihren Anträgen, ihren Gesetzestexten, ihren endlosen Paragraphen! Glauben Sie, man kann Großartiges erreichen, wenn man nur innerhalb einer beengten Box denkt? Wohl kaum. Dieser Staat … dieser verdammte Staat tötet jedes bisschen Kreativität ab, was in uns Menschen steckt. Sinnlose Begrenzungen. Als Spezies entwickelt man sich nicht weiter, wenn man nur bis zum Horizont schaut, man muss darüber hinaus gehen.«
»Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Vorgesetzten diese … Blasphemie nicht wirklich gut fanden, oder?«
»Natürlich nicht! Diese Hornochsen!«, der kleine Käfer stampfte mit seinen Füßen auf. »Sie verstanden meine Arbeit nicht, sie verstanden meine Kunst nicht!«
»Also …«
»Also … ließen sie mich meine eigene Medizin schlucken. Ich war das Versuchskaninchen für mein eigenes Projekt.«
»Schien ja ein Erfolg zu sein.«
»Nicht ganz. Ich habe ja noch meinen Willen. Die Formel musste angepasst werden.«
»Aber wenn das Projekt auf Eis gelegt wurde, warum dann diese Anlage hier? Und warum dürfen Sie frei herumlaufen?«, fragte ich.
»Ich habe nie etwas von ›auf Eis gelegt‹ gesagt.«
»Aber …«
»Das Projekt wurde nicht stillgelegt. Nein, es wurden neue Gesetze geschrieben, damit es nun legal ist und … es kam unter ein neues Management.«
»Neues Management?«
Der Fahrstuhl hielt an und die Türen glitten auf. Wir waren in einem großen dunklen Raum. An den Wänden befanden sich große Tanks, die anscheinend die verschiedenen Stadien von Projekt »METAMORPHOSIS« enthielt. Ich erblickte einen Engerling mit dem Gesicht eines Kindes. Die Gefäße gaben ein schwaches grünes Leuchten von sich.
Am Ende des Raumes sah ich einen großen, massiven Eichentisch. Dort stand eine mysteriöse Figur, sie trug einen schwarzen Mantel, ein schwarzes Hemd und eine schwarze Krawatte, die Uniform der höhergestellten Justizbeamten. Das Gesicht war durch die Dunkelheit verdeckt. Anscheinend rauchte der Beamte gerade eine Pfeife, blaugrauer Rauch schwebte um diesen lebenden Schatten herum.
»Cornelius«, die Stimme klang gleichzeitig kühl wie auch charmant, »wie ich sehe, haben Sie unseren Gast sicher hierher begleitet. Kautzmann, Josef. Bürgernummer: 3047846549832710456. Geburtsdatum: 25A4507. Einundzwanzig Jahre alt. Und so weiter und so fort, Sie kennen ja sicherlich Ihre Personaldaten in- und auswendig. Cornelius, warum lassen Sie uns nicht alleine?«
Cornelius verneigte sich und sagte dann mit unterwürfigem Ton: »Wie Sie wünschen, Herr Projektleiter«, danach verschwand er im Fahrstuhl.
»Setzen Sie sich doch, Herr Kautzmann«, der Justizbeamte zeigte auf einen Stuhl, der sich vor dem Tisch befand. Widerwillig nahm ich platz. In der Präsenz dieses höhergestellten Beamten fühlte ich mich so klein und unwichtig.
Er beugte sich leicht vor und fragte: »Ihr Anliegen?«
»Ich … Ähm … wollte nur meinen Personalausweis erneuern. Mehr nicht. Können Sie mir dabei helfen, dann bin ich auch ganz schnell wieder verschwunden. Und ich werde auch ganz sicher vergessen, was ich hier alles gesehen habe, ich schwöre!«, ich wusste nicht, ob flehen half, aber man konnte es ja versuchen.
Der Justizbeamte lachte nur. Er zog an seiner Pfeife und blies den gut riechenden Rauch in mein Gesicht.
»Nein, ich kann Ihnen nicht helfen. Dazu bin ich nicht befugt. Aber Sie haben sicherlich ganz viele Fragen, nicht wahr?«, obwohl ich sein breites Grinsen nicht sehen konnte, spürte ich es.
»Ja, das kann man wohl sagen. Ich bin ziemlich verwirrt.«
Er kicherte: »Ja, das glaube ich Ihnen. Jeder an Ihrer Stelle wäre verwirrt. Aber ich muss sagen, dass ich erstaunt bin. Noch nie hatte es jemand geschafft, unsere Anlage zu finden.«
»Ich war in Gedanken versunken«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Wieder lachte er, diesmal weitaus lauter. »Guter Scherz! Wirklich sehr gut«, das Lachen verstummte sofort und er starrte mich an: »Aber jetzt im Ernst … wie haben Sie uns gefunden?«
»Ich weiß es nicht! Ich war in Gedanken völlig versunken und plötzlich fand ich mich hier.«
»Das glauben Sie doch wohl selbst nicht. Sagen Sie, sind Sie ein Spion? Ein Anti-Staatler? Jemand von der ›Anti-Beamten-Front‹? Der ›Unbürokratischen Aktion‹? Der ›Bewegung für Demokratie‹? Der ›Gelben Kapitalistischen Fraktion‹? Sparen Sie sich die Mühe zu antworten, das sind alles Organisationen, die vom Justizamt gegründet wurden und auch gesteuert werden. Kontrollierte Opposition, Sie verstehen das sicherlich. Irgendwie muss man ja Abweichlern Hoffnung geben. Wahrscheinlich sind Sie nur ein unterbelichteter Spion des Bauamtes oder des Finanzamtes.«
»Warum erzählen Sie mir das alles? Das sind doch sicherlich wichtige Staatsgeheimnisse, oder?«
»Natürlich. Selbstverständlich. Sie liegen völlig richtig. Aber da ich Sie liquidieren werde, kann ich Ihnen auch ein paar Geheimnisse verantrauen, da Sie die eh mit ins Grab nehmen. Nicht wahr?«
»Oh«, mehr kam nicht aus mir heraus.
»Diese Anlage«, begann der Justizbeamte zu erklären, »steht seit einiger Zeit unter Kontrolle des Justizamtes. Genau genommen seit dem kleinen Fauxpas von Cornelius. Wir beobachteten ihn schon für mehrere Jahre, er war immer mal wieder wegen … nennen wir es ›Kleinigkeiten‹ aufgefallen. Der Herr ist sehr anfällig für Abweichlertum, liegt wahrscheinlich daran, dass er die ganze Zeit über in seinem kleinen Labor saß, da verliert irgendwann jeder den Bezug zur Realität. Es half auch nicht, dass wir ihn in seinem Wahn bestärkten. Wir unterwanderten seinen Freundes- und Kollegenkreis, wir flüsterten ihm im Schlaf zu, schrieben in sein Tagebuch und dergleichen. Irgendwann hatten wir Cornelius dann so weit und konnten das Projekt an uns reißen.«
»Aber wozu denn?«
»Wozu? Ich weiß nicht, was meine Vorgesetzten dazu bewegte, ausgerechnet dieses Projekt zu übernehmen. Die höheren Ebenen arbeiteten manchmal in mysteriösen Wegen. Ich bin bloß der Bote ihrer Worte. Ob Sie es glauben oder nicht, auch wir vom Justizamt betrachten die Befehlskette als heilig. Wie dem auch sei, das Projekt ist nun unter unserer Kontrolle und damit fügt sich ein weiteres Puzzlestück in unserem großen Plan.«
Er begann auf- und abzuschreiten, sein Gesicht blieb noch immer von Schatten verdeckt. Seltsam wie ich den Rauch und die Kleidung erkennen konnte, aber nicht seinen Kopf.
»Wie viele Jahre arbeiten wir schon auf die Vollendung dieses Planes hinaus? Jahrzehntelanges Planen, jahrzehntelanges Taktieren und Verschleiern und Verschwören. Beseitigung von Zeugen und Mitwissern, getarnt als Terroranschläge. Zerstören von Akten. Versieglung von ganzen Archiven. Und nun Projekt ›METAMORPHOSIS‹. Alle Schachfiguren sind nun auf ihrem Platz. Wir haben Mitarbeiter in allen Behörden, in allen Positionen. Unsere Machtposition ist gesichert, alle Gesetze sind zu unserem Vorteil geschrieben worden.«
»Ich verstehe das nicht …«
»Das müssen Sie auch nicht. Es ist auch ziemlich schwer, ich verstehe auch nicht alles. Aber das müssen wir auch nicht. Nur die Höhergestellten brauchen den Überblick.«
»Und was ist das Ziel?«
»Das Ziel? Sagen wir so, die Zeichen stehen auf Krieg.«
Meine Augen weiteten sich: »Ein weiterer Behördenkrieg?«
»In der Tat. Und diesmal wird er schrecklicher und zerstörerischer sein als alle vier letzteren zusammen. Wir werden die schweren Geschütze ausfahren. Natürlich werden wir nicht die Ersten sein, die schießen. Wahrscheinlich werden wir das Bauamt oder Finanzamt zu einem Angriff provozieren. Die fragile Ordnung wird wieder zusammenbrechen und diesmal … diesmal werden wir endgültig unangefochten an der Spitze stehen. Alle anderen Amtsrepubliken werden vernichtet. Die Welt wird mit dem neuen Beamtentypus bevölkert und wir werden als Herrenmenschen regieren.«
»Und diese Anlage«, ich wedelte mit den Händen, »ist quasi ein Testlauf?«
»Korrekt. Ein Experiment zur ersten Massenproduktion. Dafür haben wir uns hier im Bürgeramt eingenistet.«
»Wie ein Parasit.«
»So würde ich das persönlich nicht nennen, aber Sie haben nicht unrecht. Außerdem ist der Umwandlungsprozess eine wunderbare Strafe für Abweichler. Spart erheblich die Kosten für Gefängnisse. Obwohl sie sich eigentlich glücklich schätzen sollten, sie dürfen an der schönen neuen Welt teilhaben«, der Beamte blies wieder Rauch aus. Er sah aus wie ein Teufel.
Ich schüttelte mit dem Kopf: »Sie übertreten alle möglichen Gesetze …«
Er beugte sich zu mir hin, nun konnte ich seine Augen erkennen. Die Pupillen waren zu kleinen Punkten verengt.
»Wir stehen über dem Gesetz«, spie er mit zusammengepressten Zähnen die größte aller Blasphemien aus.
»Sie sind doch auch nur ein Zahnrad in einer Maschine …«, kam es schwach aus mir heraus.
Daraufhin streckte er stolz die Brust raus. »Ja, und? Es gibt nichts Größeres als einer geölten, effizienten Maschine zu dienen. Sehen Sie es doch ein. Diese Welt, dieses System, ist nicht mehr zeitgemäß. Es muss sich weiterentwickeln. Warum brauchen wir noch so viele Behörden, wenn doch eine zentrale Einrichtung reicht? Warum brauchen so viele Menschen einen freien Willen, wenn sie doch gleich eines Ameisenstaates in Gleichschritt marschieren könnten? Es gibt so viele faule, nichtsnutzige, degenerierte Beamte …«
Mir fiel wieder das Gespräch vom Mittagstisch ein: »Und wahrscheinlich kranke?«
»Wie meinen?«
»Es gibt wahrscheinlich viele kranke Beamte. Ich hörte, es breitet sich etwas aus.«
»Hmpf. Das hat Sie nicht zu interessieren. Oder zu beunruhigen. Wir haben alles unter Kontrolle. Das neue System wird kommen, ob Sie es wollen oder nicht.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte ich provokant.
»Ich weiß es halt. Ich vertraue auf die Führung.«
»Ja, Sie sind nur ein Bote und so. Ein einzelnes Zahnrad.«
Der Justizbeamte setzte sich hin.
»Gehen Sie.«
»Gehen? Sie lassen mich gehen?«
»Ja, Sie müssen doch Ihren Personalausweis erneuern, nicht wahr?«, er drückte auf einen Knopf und eine versteckte Tür öffnete sich an der gegenüberliegenden Wand.
»Aber ich weiß doch jetzt alles …«
Er zuckte mit den Schultern: »Und? Was spielt das für eine Rolle? Was glauben Sie, wie oft ich schon dieses Gespräch geführt habe? Denken Sie ernsthaft, nur weil Sie die ›Wahrheit‹, was auch immer das bedeuten mag, besitzen, würde sich irgendetwas ändern? Was glauben Sie, wie viele Abweichler frei herumlaufen? Niemand glaubt ihnen. Sie werden Ihr erbärmliches Leben weiterleben, bis Sie sich eines Tages vom Dach des Umweltamtes stürzen und zu einer weiteren anonymen Zahl in irgendeiner Tabelle in irgendeiner Statistik werden. Ist es nicht so?«
Ich sagte dazu nichts.
»Was Sie auch tun werden, der Prozess kann nicht mehr gestoppt werden. Sie können es nicht und ich auch nicht, selbst wenn ich es wollte. Wie Sie bereits richtig erkannt haben, bin ich nur ein Zahnrad in einer riesigen Maschine. Ich bin nur ein Beamter, der Befehle ausübt. Genauso wie Sie auch. Also … gehen Sie. Leben Sie Ihr Leben, solange Sie noch können. Erfreuen Sie sich an den Früchten Ihrer Arbeit, an dem Dienst an die Amtsföderation. Lang lebe unser Staatsoberhaupt!«
»Gibt es das eigentlich? Existiert der große Anführer?«
»Spielt das irgendeine Rolle? Es ist völlig egal, ob er existiert oder nicht.«
Und mit diesen Worten verabschiedeten wir uns und ich durchschritt die versteckte Tür. Ich erblickte einen langen grauen Gang. Die Tür schloss sich sofort wieder hinter mir. Leuchtstoffröhren erhellten den Weg. Am Ende sah ich ein rotes Neonlicht hell leuchten. Dort war zu lesen: AUSGANG. Mit langsamen Schritten begab ich mich zur Tür. Ich war so weit gekommen und hatte eigentlich nichts erreicht.
Kurz bevor ich die Klinke erreichte, zerbrach der Boden unter mir und ich fiel. Danach war eine Zeitlang nur Dunkelheit.
Ich öffnete wieder meine Augen, mein Kopf schmerzte. Wie es aussah, war ich wohl einige Meter tief gefallen. Ich schaute nach oben und sah das Loch in der Decke, um mich herum lagen Betontrümmer. Ich konnte von Glück reden, dass ich mir nicht das Genick gebrochen oder den Schädel aufgeschlagen hatte. Ich hatte zwar üble Kopfschmerzen, aber es hätte auch schlimmer ausgehen können. Meine Knochen waren auch noch ganz.
Ich stand auf und wischte mir den Staub von den Knöcheln und meinem Anzug. Verwundert schaute ich mich um. Wo war ich hier gelandet? Das einzige Licht kam von oben.
Ich bückte mich und nahm einen der Betonbrocken in die Hand, sie zerbröselten bei Kontakt. Völlig porös. Irgendetwas schien in die Substanz eingedrungen zu sein, wodurch sie ihre Stabilität verlor. Was eigentlich unmöglich sein sollte, schließlich war der Beton der Amtsföderation eines der härtesten Materialien auf der Welt. Mein Vater hatte mir immer davon erzählt, wie stark der Beton doch war und das es nichts Vergleichbares auf der Erde gab. Die genaue Zusammensetzung der Substanz war nur Privilegierten innerhalb des Bauamtes bekannt. Die Formel wurde unter strengsten Bedingungen geheim gehalten.
Mein Vater hatte immer davon geträumt, an dieses Wissen zu gelangen. Manchmal sprach er sogar im Schlaf darüber. Er war förmlich besessen von diesem Thema. Es war das einzige, was ihm damals noch wirklich begeisterte.
Es ging nur noch vorwärts. Der Weg nach oben war für mich unerreichbar, der Weg zurück war durch die Trümmer versperrt.
Hier unten gab es keine summenden Leuchtstoffröhren, zumindest keine die funktionierten, weshalb ich mich langsam in der Dunkelheit vorantasten musste. Nach einiger Zeit hörte der Gang einfach auf, ich stolperte und fiel eine Betontreppe hinunter. Der Aufprall war schmerzhaft, aber wenigstens war ich nun in einem Bereich, der relativ hell erleuchtet war.
Die Wände waren von einem flauschigen Pelz überwuchert, als ich meinen Fuß auf den Fußboden setzte, gab dieser leicht nach. Überall sprossen riesige, seltsam aussehende Pilze aus den Wänden und dem Boden. Ich habe vor langer Zeit mal einen roten Pilz mit weißen Punkten gesehen, mein Vater hatte mir erklärt, dass es sich dabei um einen »Fliegenpilz« handelte. Doch diese Geschöpfe hier ähnelten dem nur entfernt, sie sahen eher aus wie Pflanzen (Waren Pilze überhaupt Pflanzen?) von einem anderen Planeten.
Ihre weißen Fäden haben die alten Leuchtstoffröhren umklammert und auseinandergerissen, daher auch das seltsame grüne Licht. Sie haben den Phosphor, die Strahlung absorbiert und nun war es ein Teil von ihnen.
Die Luft war erfüllt mit Abermillionen von kleinen Sporen, wahrscheinlich war es nicht sehr gesund hier zu atmen, doch ich machte mir um mein Wohlbefinden keine Sorgen mehr. Es gab schließlich keinen Weg zurück.
Ich wanderte ziellos umher. Möglicherweise befand ich mich in einem sehr alten Sektor des Bürgeramtes. Verlassen, verschüttet, vergessen. Vermutlich hatte man den neueren Teil der Behörde einfach über den alten erbaut. Ob es bei den anderen Ämtern auch so war? War unsere Gesellschaft auf den Ruinen vorheriger Versionen erbaut worden? Wie tief ging es noch?
Was auch immer hier einst gewesen ist, nun war es nur noch ein Friedhof, eine Katakombe, eine verschimmelte Gruft.
Nach einiger Zeit kam ich an einer Gablung, zwei Wege führten jeweils nach links und nach rechts. Davor befand sich eine Statue, ein Denkmal, das drei Beamte darstellte. Sie hatten ihre Anzugjacken abgelegt, trugen nur ihre Hemden und Krawatten. In ihren Händen hielten sie Gewehre. Ihre Blicke waren eisern und entschlossen, wahrlich heroische Posen. Auf dem Sockel stand: »In Gedenken an die Helden des Behördenkrieges«. So alt war dieser Sektor also.
Es gab keine Denkmäler mehr, sie wurden auf Anordnung des Justizamtes nach dem letzten Krieg zerstört (»Gesetz zur Vernichtung heroisierender Statuen feindlicher Fraktionen und Denkmäler der Behördenkriege innerhalb der Amtsföderation«), es gab nur noch die Gedenktage. Doch auch diese verloren zunehmend an Bedeutung. Und jetzt drohte ein neuer Krieg … Diese Welt war gefangen in einem Kreislauf der Gewalt.
Ich nahm den rechten Weg, die Phosphorröhren in den Pilzen begannen zu pulsieren. Es wurde heller, dann dunkler und wieder heller. Trotz der gespenstischen Ruhe und der außerirdisch wirkenden Atmosphäre hatte es etwas Beruhigendes.
Die Temperaturen machten mir aber zu schaffen, ich schwitze wie im Hochsommer. Ich zog meine Anzugjacke aus und ließ sie achtlos zu Boden fallen. Seltsam, vor einiger Zeit machte ich mir noch Sorgen, dass sie beschädigt werden könnte. Fühlte sich an, als wäre es schon ein Leben her. Aber es spielte keine Rolle mehr. Mich beschlich das Gefühl, dass ich sie eh nicht mehr brauchen werde. Ich lockerte auch diese verdammte, viel zu eng gebundene Krawatte, riss sie förmlich von meinem Hals und schmiss sie weg. Vielleicht war es nur mein erschöpfter Verstand, der sich etwas einbildete, doch mir war so, als würden die Pilze die Kleidungsstücke auf der Stelle verschlingen. Ich knöpfte auch die ersten zwei Knöpfe meines weißen Hemdes auf, meine Achselhöhlen waren klitschnass. Meine Haare waren unordentlich, verwuschelt.
Ich hatte ein Sakrileg begangen, ich habe die heilige Uniform der Amtsföderation ohne Erlaubnis abgelegt, zusätzlich habe ich sie noch in den Dreck geschmissen. Laut §2 Absatz 1 des »Gesetzes zur einheitlichen Uniformierung der Mitarbeiter und achtsamen Pflege und Behandlung der Uniform der Amtsföderation« könne mir entweder eine hohe Geldstrafe oder fünf Jahre Gefängnis drohen. Doch was kümmerte mich das? Wer will hier unten Recht sprechen? Wer will drakonische Strafen aussprechen? Hier konnte mich niemand belangen. Die Fühler des Justizamtes reichten nicht bis in diese verschimmelten Katakomben, hier war ihr Einfluss gleich null.
Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich frei, als würde eine ungeheure Last von meinen Schultern fallen, als hätte mich jemand aus einem viel zu engen Korsett befreit.
Die Lichter der Pilze pulsierten, die Wände atmeten. Hoben und senkten sich. Zogen sich zusammen und wieder auseinander. Ich glaubte, ich verstand langsam.
Die Stille wurde langsam aber stetig von einem unruhigen Gemurmel unterbrochen. Es dauerte nicht lange und ich sah die Quelle des Geräusches. In der Wand steckte ein Beamter, umschlossen von Schimmel, aus seinem linken Auge spross ein Pilz. Seine spröden, trockenen Lippen bewegten sich, formten Worte: »§1 Absatz 4 Zeile 7 Punkt 9 des Gesetzes zur Abschaffung von §56 Punkt 10 zur Maßnahme der Reformierung des Gesetzes zur Bewältigung der Krise von §43 Absatz 2 §89 der Pflege von Punkt 2 anhand des Dokumentes des §896 der StGB der Amtsföderation §41 Absatz 3 siehe hierfür Gesetz Absatz 5 …«, und so ging es weiter und weiter.
Ich lief an ihm vorbei und betrat eine riesige Halle. In alten Tagen musste das wohl ein sogenanntes »Großraumbüro« gewesen sein, wo mehrere Dutzend Beamte zusammensaßen und gemeinsam arbeiteten. Ich kannte dieses Konzept nur aus alten Lehrbüchern. Seit Generationen gab nur die kleinen zellenartigen Einzelbüros. Angeblich sollte es den Mitarbeitern bei der Konzentration helfen, da sie so nicht mehr von Gesprächen mit Kollegen abgelenkt wurden. Siehe hierfür das »Gesetz zur …«, ehrlich gesagt, wusste ich es in diesem Moment nicht. Es war mir entfallen. So etwas sollte eigentlich nicht passieren.
In dem Raum »saßen« mehrere Beamte, die so ähnlich waren wie ihr Kollege auf dem Gang. Ihre verdorrten Körper waren mit den Tischen und Stühlen verschmolzen. Zombiehaft, sie waren weder tot noch lebendig, irgendetwas hielt sie in einem Zwischenbereich gefangen. Sie alle flüsterten ununterbrochen, ein wahnsinniger Chor, dem aber eine gewisse Melodie beiwohnte … §34 Absatz 9 des Gesetzes zur Reformierung von Gesetzen des §23 Punkt 678 Absatz 56 der Reform zur Wiederholung der Reform zur Vergrößerung der Krise des Strafmaßes des §3 Absatz 7 der wiederholten Tat zur Abschaffung von Gesetz §987 des Strafgesetzbuches anhand ausgewählter Paragraphen zur Verringerung von §45 …
Ihre degenerierten, verfallenen Gehirne waren nur noch in der Lage Paragraphen an Paragraphen von einst auswendig gelernten Gesetzestexten aneinanderzureihen, ohne Sinn und ohne Verstand. Ihr Bewusstsein war gefangen in einer niemals enden wollenden kognitiven Schleife. Ihr Denken war zu einer endlosen Tonbandaufnahme reduziert worden.
Vereinzelt sah ich auch die Körper von Käferbeamten, doch sie waren nur leere Hüllen. Der Schimmel hatte sie aufgefressen und schien auch kein Interesse daran zu haben, sie in sein System zu absorbieren. Vielleicht erkannte er sie als Schädlinge oder Fremdkörper an? Wie waren diese misslungenen Experimente überhaupt hierher gekommen? Hatten sie sich befreit und waren zufällig an diesen Ort geraten, wo sie ihr jämmerliches Ende fanden?
Ich ging weiter bis zur Mitte des Raumes, dort erblickte ich eine gewaltige Pilzkolonie, ihre Kappen berührten beinahe die Decke, ihre Fruchtkörper waren im Umfang größer als jede Säule der Amtsföderation. Sie leuchteten und bebten und pulsierten. Um sie herum lagen Trümmer und Ruinen vergangener Zeiten. Früher waren es vielleicht eindrucksvolle Bauten gewesen, aber nun mussten auch sie dem Einfluss der Fungi weichen.
Und da verstand ich es, ich hatte es endlich begriffen.
Der Schimmel drang in die Bausubstanz ein, weshalb der Beton porös wurde. Wahrscheinlich werden sich die Pilze weiter ungehindert ausbreiten, werden die Architektur des Staates befallen und zerfressen. Die Fundamente werden einstürzen. Der eine Beamte, der jetzt aufgrund einer mysteriösen Krankheit im Sterben lag, war nur der Anfang. Bald schon wird es sich auf den Rest ausbreiten. Die Pilze werden dafür sorgen, dass alles einstürzen wird. Sie werden die Amtsföderation absorbieren. Eines Tages wird alles ein Ende haben.
Es gab keine Möglichkeit, diesen Prozess aufzuhalten. Weder Reformen noch Gesetze noch Revolution können daran etwas ändern. Mag das Justizamt seine lächerlichen Verschwörungen weben, letztendlich werden ihre Bemühungen fruchtlos sein. Ihre »neuen Menschen« haben keine Resistenz gegen den übermächtigen Eindringling. Sie werden verschlungen und gehen unter in einem Meer aus Schimmel.
Ich sitze mich auf den weichen Boden, irgendwie war es bequem. Es gab für mich nichts mehr zu tun. Meine Reise hatte schließlich ihr Ende gefunden. Ich lauschte dem Chor aus sinnlos brabbelnden Stimmen. Ob ich mich dazu gesellen werde?
Eines Tages, abwarten.
Ich erkannte nun, was falsch war an dieser Welt. Ich erkannte den schrecklichen Geburtsfehler, der unsere Gesellschaft plagte. Doch es gab dafür kein Heilmittel, keine Lösung.

Das System verfaulte von innen heraus.

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