Und das Kreuz dreht sich weiter

Die warme Morgenluft strömte in das kleine beschauliche Zimmer hinein, die Sonne war noch weit von ihrem Höhepunkt entfernt, trotzdem zirpten die Grillen bereits emsig und erfüllten die Gegend mit ihrer gleichmäßigen Melodie.
Der Raum war sparsam eingerichtet, ein großer Eichenholzschrank, wahrscheinlich ein Familienerbstück, ein kleiner Schreibtisch mit darüber hängendem Spiegel, der definitiv mal geputzt werden müsste, und ein gewaltiges, bequemes Bett, das ungefähr mittig an der Wand stand.
Trotz (oder vielleicht gerade wegen?) seiner Spärlichkeit versprühte das Zimmer ein Gefühl von Heimeligkeit, von Familie, von Geborgenheit. Hier schien die Welt noch in Ordnung, völlig unberührt von den unvorstellbaren Umwälzungen der Moderne. Fernab jeglichen Lärms und Trubels, fernab von Krisen, Kriegen und Intrigen. Irgendwo in der endlosen Weite der Mark Brandenburg.
Unter der verwaschenen Bettdecke berührten sich innig zwei Liebende. Ihre feuchten Lippen verschmolzen ineinander, wild umklammerten sich ihre Zungen, Hände wurden in Haare gekrallt; die nackte, heiße, vom Schweiß glänzende Haut gestreichelt. Ihre Körper rieben, klebten aneinander, die Haare waren durchgewuschelt.
»Warte mal, warte mal«, stöhnte einer von den beiden.
»Was ist denn? Alles in Ordnung?«
Die Decke wurde zurückgeschlagen, zum Vorschein kam ein muskulöser, junger Mann, der die Hälfte des Weges zur dreißig geschafft hatte. »Ja, ja. Alles bestens«, sagte er hustend, während er sich aufrichtete. »Ich brauch nur etwas frische Luft. Gott, das wird immer so schnell stickig darunter. Da kriegt man ja Atemnot.«
Sein Liebespartner erhob sich ebenfalls, seine langen Haare fielen ihm ins verschwitzte Gesicht. Ein hohes Lachen war zu hören. »Du musst auch immer gleich übertreiben, Fritzchen.«
»Hey, wenn ich hier ersticke, dann war es das. Dann musst du dir jemand Neues zum Spielen suchen.«
Er kicherte. »Ich glaube, das sollte für mich kein Problem sein.«
Fritzchen, besser bekannt als Friedrich betrachtete sein Gegenüber. Sein Partner war ein wenig jünger als er. Fast noch ein Knabe, dem jugendlichen, schmalen, hellen Körper nach zu urteilen. Die blonden, lockigen Haare hingen ihm ins Gesicht. Saphirblaue Augen betrachteten ihn neugierig. Engelsgleich, war das Wort, das Friedrich beim Anblick von Michael einfiel. Als hätte ein von Gott gesegneter Künstler diesen wunderbaren Körper aus dem reinen Marmor befreit. Ein Bildnis, welches dem Knabenkaiser Elagabal glich.
Friedrich selbst ähnelte mehr den antiken Helden Herakles oder Achilleus. Muskulöser Körper, breit gebaute Schultern, markantes Kinn, leicht gebräunte Haut, eine hohe Stirn und stoppelige Barthaare. Mit dem Bartwuchs hatte es bei ihm noch nie so wirklich geklappt. Aber das lag auch in der Familie, schon der Vater und der Großvater waren nur in der Lage, einen kleinen, unspektakulären Flaum wachsen zu lassen.
Er schaute auf die Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand hing. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.
»Verdammte Scheiße«, rief er und schlug die Decke weg.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«
Friedrich schnappte hastig seine am Boden liegenden Sachen. »Ich bin spät dran. Die Jungs hatten noch was geplant. Da muss ich hin.« Er zog sich seine Hose und seine Stiefel an, streifte sich das Hemd über und knüpfte es ordentlich zu. Leicht panisch schaute er sich um, doch dann fand er, was er suchte: seine Mütze. Sie lag unter dem Bett. Ohne sie wäre sein Outfit nicht komplett.
»Fritzchen, warum gibst du dich eigentlich mit diesen Halunken ab?«
Er wandte sich zu Michael, nun stand er komplett in Uniform angezogen vor ihm. Es war, als hätte er eine Metamorphose vollzogen.
»Ich glaube an die nationale Revolution. Und die SA wird Trägerin dieser Revolution sein.«
Der Jüngling schüttelte ungläubig den Kopf. »Wenn sie herausfinden, was du in deiner Freizeit tust …«
»Papperlapapp, sie werden es schon nicht herausfinden, zerbrich dir deswegen nicht deinen hübschen Lockenkopf.«
»Der Wirt könnte …«
»Der Wirt weiß, was ihm blüht, wenn er singt«, erwiderte Friedrich. »Außerdem, alle wissen, dass Ernst Röhm ebenfalls ein Sodomit ist. Und keinen in der Partei stört es.«
»Röhm ist der beste Freund Hitlers, natürlich sagt da keiner etwas! Und ich mag dich daran erinnern, dass du nicht Ernst Röhm heißt, sondern Friedrich Schmidt.«
Michael seufzte. »Ich mach mir nur Sorgen um dich.«
Friedrich ging zu ihm hin, schob seine Hand unter sein Kinn und hob seinen Kopf hoch.
»Wie gesagt, zerbrich dir nicht deinen Kopf. Ich schaff das schon«, flüsterte er und küsste ihn zärtlich auf den Mund. Michael berührte die Schulter seines Liebhabers, umarmte ihn. Er erhoffte sich, dass Friedrich seine Meinung ändern, dass er bei ihm bleiben würde. Doch bevor der Gedanke sich vollends gebildet hatte, löste sich der starke Mann aus der warmen Umarmung. Nur noch ein flüchtiger Geschmack blieb auf Michaels Lippen zurück. Er blickte in die smaragdgrünen Augen des SA-Soldaten und hauchte leise: »Komm bitte bald zu mir zurück, mein Liebster.«
»Du kannst deinen kleinen Arsch drauf verwetten, dass ich das tue«, zwinkerte er Michael zu.
»Wann werde ich dich wiedersehen?«
Friedrich überlegte, er kratzte sich am Kopf. »Mal schauen, ich werde jetzt erst einmal ein wenig zu tun haben. In ein paar Tagen vielleicht.«
In einer dramatisch-theatralischen Geste fiel Michael zurück aufs Bett. »Eine halbe Ewigkeit«, stöhnte er.
Der SA-Mann lachte. »Mein kleiner sterbender Schwan. Ich versuch so schnell wie nur möglich, zu dir zurückzukehren.«
»Bekomme ich noch einen Abschiedskuss von dir, Fritzchen?«
Friedrich beugte sich vor und küsste seinen Götterprinzen lang und innig. Dann löste er sich und verschwand durch die Tür.
Zurück blieb Michael, die Grillen waren verstummt, die Geborgenheit und die Heimeligkeit aus dem kleinen Zimmer verschwunden. Er hatte das Gefühl, dass ein Gewitter bevorstünde.
Friedrich verließ das bäuerliche Gasthaus. Alle Anzeichen deuteten darauf, dass es heute ein schöner Tag werden sollte. Der Himmel war strahlend blau, keine einzige Wolke ließ sich blicken. Die Luft war sommerlich warm, die Vögel trillerten freudig ihre Lieder.
Der SA-Mann schwang sich auf sein kleines, graues Motorrad. Das Treffen mit seinen Kameraden fand in einer Kleinstadt statt, die sich ein paar Kilometer nördlich vom Dorf befand. Während der Fahrt dachte er über die vielen Entscheidungen nach, die zur jetzigen Situation geführt hatten. Mit fünfzehn lief er von zuhause weg, Vater war Freikorps-Soldat, fiel im Ruhrkampf. Er war bis zu seinem Tode ein deutscher Nationalist.
Friedrich ließ seine drei Geschwister und eine weinende Mutter zurück. Er schlug sich als Hafenarbeiter, Erntearbeiter, Bauarbeiter durch. Trieb ziellos durch ein Meer aus Schwarzarbeiten, stickigen Unterkünften und alten, verbitterten Männern, die gerne die Dienste eines jungen Mannes in Anspruch nahmen.
Und dann trat er in die SA ein, mit ihren Bildern von starken, uniformierten Männern, die für Deutschlands Ehre kämpfen, ein Männerbund, seine neue Heimat. Doch Michaels Worte wollten nicht aus seinem Kopf verschwinden. Wenn sie herausfinden würden, wer er in Wirklichkeit ist, dann … Er wischte den Gedanken beiseite. Friedrich wollte um jeden Preis sein Privatleben und seinen Dienst strikt getrennt halten. Diese zwei Sphären durften sich nicht berühren.
Er stand vor dem Treffpunkt seiner Schar, der Kneipe ›Zum blinden Esel‹, und trat ein. Seine Kameraden waren schon tüchtig am Feiern, obwohl noch gar nichts gemacht wurde. Bierkrüge klirrten, hämische Lieder wurden schief aus rauen Kehlen gegrölt, es wurde wild getanzt. Insgesamt waren fünfzehn Männer versammelt, fast zwei komplette Rotten. Nicht alle trugen Uniform.
Friedrich erblickte Scharführer Heinrich, er saß zusammen mit den beiden Rottenführern Hermann und Klaus. Sie grinsten und tranken Bier. Als sie ihren Kameraden an der Tür sahen, wurde ihr Lächeln noch größer. Er zog die Beine zusammen, hob seinen rechten Arm und rief mit lauter Stimme: »Heil Hitler!« Die drei am Tisch erhoben sich und erwiderten den Gruß.
Heinrich hatte das Wort: »So, jetzt scheinen wir vollzählig zu sein. Haltet mal alle euer Maul und sperrt die Lauscher auf.« Sofort wurde es ruhig im Saal. Friedrich setzte sich hin.
»Meine lieben Volksgenossen, uns ist zu Ohren gekommen, dass sich ein paar dreckige Judenschweine, vernunftresistente Marxisten, hier in dieser schönen Stadt eingenistet haben.«
Die Menge brüllte wie eine erzürnte Affenhorde. Heinrich wartete einen Moment, bevor er fortfuhr. »Diese widerwärtigen Ratten haben wohl noch nicht ganz verstanden, wer nun Herr von Deutschland ist. Ich sage, wir ziehen zu ihrem kleinen Versteck und räuchern das Ungeziefer aus!« Dieser Vorschlag wurde mit einem energischen Jubelsturm erwidert. Sofort zog die Schar los, dabei wurde laut gesungen: »Die Fahne hoch! Die Reihen fest verschlossen, SA marschiert!« Friedrich ließ sich von der Stimmung fortreißen, heißes Blut kochte in seinem Körper.
Nach einiger Zeit fanden sie das Gebäude, wo sich die Kommunisten versteckt hatten, eine erbärmliche, verlassene Mietskaserne. Zwei SA-Männer traten die Tür auf, der Rest strömte wie ein hungriges Wolfsrudel hinein. Es dauerte nicht lange, bis sie ihre Beute fanden. Eine kleine Gruppe von zehn Leuten saß in einem Zimmer, auf dem Boden lagen Pamphlete verteilt. Wie verängstigte Tiere starrten sie die wilde Meute an. Einen Herzschlag später schrie Heinrich: »Schnappt sie!«
Sofort fielen die SA-Soldaten über die überraschten Männer her. Mit Schlagstöcken und Schlagringen wurde auf sie eingeprügelt. Einer der Marxisten versuchte, an der uniformierten Masse vorbeizuschleichen, doch Friedrich griff ihn und schmiss den armen Kerl zu Boden. Mit geballter Faust schlug er ihm ins Gesicht, immer und immer wieder. Er hörte das Knacken von Knochen, sah, wie das Blut hoch spritzte. Es war wie in einem Rausch, doch dann verwandelte sich die Gesichtsruine des Kommunisten in das Gesicht von Michael und er hielt kurz inne.
Der Blutnebel löste sich für einen Moment und er sah, wer eigentlich unter ihm lag. Ein Knabe mit blondem Haar, vielleicht fünfzehn Jahre alt. Er wimmerte, blutete aus Nase und Mund. Friedrich begann zu zittern, ihm wurde schlecht. Taumelnd stand er auf und verließ den Raum. Heinrich beobachtete das Schauspiel.
Draußen auf dem Flur lehnte er sich an die kühle Wand und fuhr sich mit zitternden Fingern über das Gesicht. »Was war das?«, flüsterte er zu sich selbst. Es war nicht das erste Mal, dass er bei einer Prügelei dabei war. Er hatte schon einige Straßenkämpfe gegen Rotfront, Reichsbanner und Stahlhelm hinter sich, doch das waren ebenbürtige Gegner. Hier waren es Jugendliche … fast noch Kinder. Und er prügelte wie ein Besessener auf sie ein.
Um ehrlich zu sein, hatte er nie verstanden, warum die NSDAP so verbittert gegen die Kommunisten kämpfte. Er persönlich sah in der KPD einen nützlichen Verbündeten im Kampf gegen Kapitalismus, Liberalismus und Bourgeoisie. Es war ja auch nicht so, als hätten die beiden Gruppierungen nicht durchaus schon zusammengearbeitet. Und die große Sowjetunion im Osten, die einen rückwärtsgewandten Agrarstaat in ein mächtiges Industrieimperium verwandelte … mit Stalin als dem großen Führer. War das nicht der autoritäre national-sozialistische Staat, zu dem Deutschland werden sollte? Es hieß immer, dass die Juden hinter dem bolschewistischen Marxismus stecken würden, doch was interessierten Friedrich die Juden. Es ging doch um das deutsche Volk, oder?
Nach einiger Zeit hörte der Lärm im Zimmer auf, heraus kamen mehrere SA-Männer, die die blutenden Kommunisten abführten, um sie wahrscheinlich in irgendeinen dunklen Keller oder in ein anderes abgelegenes Gefängnis zu verfrachten. Vielleicht kamen sie auch gleich nach Dachau. Offiziell sprach die Partei dabei von ›Schutzhaft‹.
Später am Abend traf sich dann die Schar im ›Zum blinden Esel‹, um ihren ›Sieg‹ gegen den Bolschewismus gehörig zu feiern. In der Küche wurden eifrig Bouletten, Würste und Bratkartoffeln vorbereitet. Der gelbe Hopfensaft floss literweise.
Friedrich saß mit zwei Kameraden an einem Tisch, ein großes Bier (es war bereits das vierte) und eine Boulette vor sich. Die Diskussion drehte sich um die Zukunft des neuen Regimes.
»Und«, fragte ein Kamerad, ein grobschlächtiger Hüne, »wann glaubt ihr, werden wir uns endlich die Franzmänner vorknöpfen?«
»Gemach, gemach«, erwiderte ein SA-Mann namens Peter. »Bevor das geschehen wird, müssen wir uns erst einmal um ein paar grundlegende Sachen kümmern. Die Arbeitslosigkeit muss bekämpft, Deutschland aus der außenpolitischen Isolation geholt …«
Der Hüne verzog angewidert das Gesicht. »Funktionärsgerede.. Du rotzt wie die Hunde im Reichstag.«
»Realpolitik ist nicht deine Stärke, oder? Was sollen wir denn deiner Meinung nach machen, Hans?«
»Ganz einfach«, er streckte stolz die Brust beim Reden raus. »Zuallererst kümmern wir uns um die marxistische Brut, räuchern schön die letzten Kommunisten- und Sozialdemokratennester aus, dann gehts den restlichen Judenschweinen an den Kragen, und wie Schweine werden wir sie auch behandeln. Wenn Deutschland dann von dem ganzen Dreck gereinigt wurde, dann geht es richtig los. Dann bauen wir Tanks, Bomber, Kanonen, Gewehre und dann marschieren wir los. Zuerst Frankreich, dann ihre Schoßhunde, die beschissenen Polen und dann marschieren wir Richtung Russland und zerstören den letzten Zufluchtsort der Juden.«
Peter schüttelte nur mit dem Kopf. »Du denkst und sprichst wie ein Drittklässler.«
»Ach, halts Maul! Du redest nur so, weil du studiert hast. Scheißphilosoph.«
Der ehemalige Student verdrehte die Augen und wandte sich dann an Friedrich. »Und? Was denkst du, wie es weitergehen wird?«
»Meine Pläne gehen in eine etwas andere Richtung als die eure«, erklärte er.
»Spuck schon raus und red nicht um den heißen Brei!«, rief der Hüne und schlug auf den Tisch.
»Nun«, begann Friedrich, »erst einmal muss ich sagen, dass ich nicht mit Hitlers Position als Führer unserer Bewegung zufrieden bin.«
Seine beiden Kameraden schauten ihn irritiert an und rückten näher heran. »Wie meinst du das?«, fragten sie fast simultan.
»Hitler … Was ist der schon? Ein herkömmlicher Gefreiter, ein Schreihals im Anzug. Dieser Hindenburgumschwänzler, ein Selterwassergötze, biedert sich die ganze Zeit an das konservative Bürgertum an. Seht euch doch an, mit wem er sich umgibt. Von Papen als Vizekanzler? Gürtner als Justizminister? Der greise Hindenburg als Reichspräsident? Was sollen diese Bürgerlichen und halbtoten Adligen in einer revolutionären Bewegung? Die verwesten Körper der Hohenzoller kreisen noch immer wie Geier um unser Land.«
»Wen hättest du denn gerne an der Spitze«, fragte Hans leicht zornig.
»Ich bin ehrlich – Röhm, einen echten Mann. Stellt euch vor, er als Führer der deutschen Nation. Zusammen mit Gregor Strasser, vielleicht auch mit Otto, wenn er erst einmal in die Partei zurückkehrt. Das wäre ein wahrer Nationalsozialismus. Sie würden die Revolution zu Ende führen.«
»Wenn Röhm mit seiner Schwuchtelei nicht aufhört, wird er nur noch Führer des Friedhofs«, ertönte plötzlich eine Stimme. Friedrich sah auf, Heinrich hatte sich zu ihnen gesellt.
»Na, Fritz«, sagte er hämisch. »Hast dich wieder erholt. Warst ja plötzlich weg.«
Peter drehte sich um. »Was ist denn passiert?«
»Unser Kamerad hat anscheinend kalte Füße beim Prügeln bekommen.« Heinrichs stützte seine starken Arme auf den Tisch ab. »Haste plötzlich deine mitfühlende Seite entdeckt, oder was?«
»Bist du etwa ein Rindersteak-Nazi?«, fragte Hans schockiert.
»Außen braun, innen rot – würde einiges erklären«, fügte Peter hinzu.
Friedrich wurde rot im Gesicht. Er trank sein Bier in einem Zug aus und stand dann auf. »Ich glaube, diese Anschuldigungen muss ich mir nicht länger anhören. Wenn hier einer loyal ist, dann bin ich es!«, sprach er und ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Zwei Tage später war er endlich wieder mit Michael zusammen. Sie trafen sich im Gasthaus und kaum hatten sie sich ihrer Kleider entledigt, konnten sie ihre Liebe kaum noch zurückhalten. Friedrich packte den Jüngling, warf ihn aufs Bett und nahm ihn, und bei Gott er brauchte es.
Bald lagen sie beide zufrieden im Bett, schmiegten sich aneinander. Friedrich konnte den intensiven Geruch von Michael wahrnehmen, eine Mischung aus Schweiß und Parfüm.
Der Junge hatte den Kopf auf die Brust von Friedrich gelegt, er lauschte seinem Herzschlag und war fast davor, einzudösen. Der Ältere strich ihm durch die Lockenhaare. In diesem Moment war das Leben einfach gut.
»Ich liebe dich, Fritzchen«, flüsterte Michael.
»Ich liebe dich auch.«
»Lass uns von hier verschwinden, lass uns woanders leben, lass uns glücklich sein.«
Friedrich sagte nichts, denn er wusste nicht was. Gerne würde er für immer mit Michael zusammen sein, doch die Realität war eine andere. Deutschland war seine Heimat, und ihr wollte er trotz allem nicht den Rücken kehren.
Michael begann zu schnarchen und auch Friedrich begann langsam einzuschlafen. Doch kurz bevor er ins wohlige Reich der Träume hinabglitt, wurde er plötzlich durch einen lauten Knall aus dem Halbschlaf gerissen. Sofort schreckte er hoch, er hörte schwere Stiefelschritte und sah im Dunkeln schwarze Schatten sich bewegen. Auf einmal begannen mehrere helle Lichter zu leuchten.
»Das ist er!«, bellte einer von ihnen.
Bevor Friedrich irgendwie reagieren konnte, wurde er aus dem Bett gezogen. Michael wachte auf, sah die Lichter und die Männer und begann zu schreien. In Friedrichs Kopf drehte sich alles, seine Augen brannten. Er konnte die Eindringlinge nicht richtig erkennen, sah aber, dass sie schwarze Uniformen trugen.
Einer der Männer zog eine Pistole und schoss. Mit einem lauten Knall verstummte der Schrei. Friedrich wurde auf die Beine gezerrt. Irgendjemand zog einen Leinensack über seinen Kopf und schubste ihn nach draußen. Zwei Personen packten seine Arme. Er stolperte beinahe die Treppe hinunter. Er war sich sicher, dass das alles nicht real war, dass er träumte. Er musste träumen, anders war die Situation gar nicht möglich. Entweder ein Traum oder gar eine Verwechslung. Ja, das musste es sein. Warum sonst sollte ein SA-Mann mitten in der Nacht verhaftet werden? Er hatte doch nichts falsch gemacht.
Türen wurden aufgerissen, jemand stieß ihn vorwärts und er landete auf einem kalten Metallboden. Ein Motor wurde gestartet und das Gefährt setzte sich in Bewegung. Die Fahrt schien Stunden zu dauern, Friedrich versuchte mitzubekommen, wohin sie fuhren, doch nach einiger Zeit gab er es auf, er hatte die Orientierung verloren.
Irgendwann hielten sie an, wieder wurde er gepackt und aus dem Wagen gezerrt. Dann ging es nach unten, die Luft wurde merklich kühler. Als sie am Ziel angekommen waren, drückte ihn jemand auf den Boden, sodass er knien musste. Handschellen wurden ihn angelegt.
»Nicht nur ein Verräter, sondern auch ein dreckiger Homosexueller«, flüsterte einer seiner Peiniger verächtlich. »Dieser Sumpf hat wirklich keinen Boden.«
Friedrich wusste nicht, wo oben oder unten war. In seinem Kopf wirbelte ein unerbittlicher Sturm. »Michael … Michael, wo bist du?«, fragte er leise, doch niemand antwortete. Er hörte sein lautes Atmen unter dem schweren Sack. Er sah nichts als verschwommene Dunkelheit. Ab und zu glaubte er, Schemen zu erkennen und Schritte zu hören, doch er war sich nicht sicher, was real und was nur ein Hirngespinst war.
Er fror, zitterte am gesamten Leib. Er hatte nur seine Unterhose an. Friedrich begann zu weinen, heiße Tränen liefen langsam seine Wangen hinunter.
Und so wartete er auf das, was unvermeidlich kommen mochte.

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