„We live on an placid Island of ignorance, in the midst of black seas of Infinity.“ – Unendlichkeit und Wiederholung im Kosmischen Grauen. Eine Betrachtung von Junji Itos „Uzumaki“

1. Einleitung

Das im Titel erwähnte bruchstückhafte Zitat lautet in der deutschen Übersetzung in Gänze wie folgt: „Wir leben auf einer friedlichen Insel der Ahnungslosigkeit inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es war nicht vorgesehen, dass wir diese Gewässer weit befahren sollen“ (Lovecraft 2011a, 87). Der Satz stammt aus der Kurzgeschichte „Der Ruf des Cthulhu“ („Call of Cthulhu“ im Original), geschrieben vom US-amerikanischen Schriftsteller Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), der als der Begründer des sogenannten „cosmic horror“ gilt.

Die Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern „Unendlichkeit“ und „Wiederholung“ dazu beitragen können, ein Gefühl von „Kosmischem Grauen“ zu erzeugen. Exemplarisch soll dabei „Uzumaki“, ein Manga des japanischen Zeichners und Schriftstellers Junji Ito, betrachtet werden.  

Im ersten Kapitel soll eine Definition von „Kosmischem Grauen“ (bzw. „Kosmischem Horror“) gegeben werden, dabei gehe ich auch auf die Geschichte und die Bedeutung des Begriffes ein. Da Lovecraft als der wichtigste Vertreter dieser „Schule“ gilt, möchte ich auf seine Biografie eingehen. Des Weiteren werden andere Vertreter, ältere sowie zeitgenössische, genannt.

Das zweite Kapitel behandelt Junji Itos „Uzumaki“. Zuerst wird die Handlung des Mangas zusammengefasst, danach analysiere ich das Werk auf die Motive der „Wiederholung“ und „Unendlichkeit“ hin, die immer wieder auftreten. Besonderes Augenmerk soll auf das Symbol der Spirale gelegt werden, da sie die beiden Motive miteinander perfekt kombiniert und ein zentraler Bestandteil der Handlung ist. Eine wissenschaftliche Betrachtung des Werkes von Junji Ito im Hinblick auf „Wiederholung“ und „Unendlichkeit“ fand bisher nicht statt. Die Hausarbeit übernimmt diesbezüglich den ersten Versuch.

In meiner Schlussbetrachtung fasse ich die Argumentationen zusammen und ziehe ein Resümee.

Ich beziehe mich in meiner Arbeit auf folgende Personen: H. P. Lovecraft, Junji Ito, Daniel Illger, Michel Houellebecq, Eugene Thacker, Mark Fisher, Werner Olles, Horst S. und Ingrid G. Daemmrich. Im folgenden Text werde ich die Begriffe „Kosmischer Horror“, „Kosmisches Grauen“ und „cosmic horror“ abwechselnd verwenden. Sie bedeuten das gleiche.

2. Kosmisches Grauen – Bedeutungslosigkeit der Menschheit angesichts der Kosmischen Unendlichkeit

H. P. Lovecraft gilt als der bedeutendste (und auch als Gründer) des sogenannten „Kosmischen Horrors“. Es ist daher bedeutsam, einen genaueren Blick auf seine Biografie und sein umfangreiches Werk zu werfen, bevor ich mich der Definition von „Kosmischen Grauen“ detaillierter widme.

Lovecraft wurde am 20. August 1890 im US-amerikanischen Providence, Rhode Island, geboren. Dort wuchs er als Einzelkind unter der Obhut der Mutter und seiner zwei Tanten auf, sein Vater befand sich aufgrund seiner Syphilis in der Psychiatrie, wo er auch verstarb, als Lovecraft gerade einmal sechs Jahre alt war. In diesem Zeitraum fing er auch an, erste Gedichte zu schreiben. 1921 starb seine Mutter ebenfalls in psychiatrischer Behandlung (vgl. Olles 2019, 195). Drei Jahre später heiratete er die jüdische Modejournalistin Sonia Green und zog mit ihr nach New York. Ein Wechsel, mit dem er nie zurechtkam.

Die Ehe zerbrach dann auch an der schweren finanziellen Situation (vgl. ebd., 198). Das Motiv des „wenigen Geldes“ zieht sich durch die gesamte Biografie Lovecrafts, Houellebecq schreibt sehr passend dazu: „Ohne jemals im Elend zu versinken, war er sein ganzes Leben lang extrem knapp bei Kasse“ (Houellebecq 2016, 89). Paradoxerweise war er nie jemand, für den Geld wichtig war, es interessierte ihn schlichtweg nicht (vgl. ebd.). Seinen (sehr geringen) Lebensunterhalt verdiente er sich durch kleine Arbeiten als Korrektor, Lektor und Ghostwriter (vgl. Olles 2019, 195).

1926 begann der wichtigste Abschnitt seines literarischen Schaffens, im selben Jahr erschien auch seine erste längere Erzählung „Der Ruf des Cthulhu“, dicht gefolgt von „Die Farbe aus dem All“ (1927), „Das Grauen von Dunwich“ (1928), „Der Flüsterer im Dunkeln“ (1930), „Berge des Wahnsinns“ (1931), „Träume im Hexenhaus“ (1932), „Schatten über Innsmouth“ (1933) und „Der Schatten aus der Zeit“ (1934) (vgl. Houellebecq 2016, 28). Insgesamt verfasste Lovecraft über vierzig kürzere und zehn längere Erzählungen (vgl. Olles 2019, 196). Die genannten Geschichten bilden auch den Kern des „Cthulhu-Mythos“, die Keimzelle des „Kosmischen Horrors“, eine eigene Dämonologie, bevölkert von einem primordialen See aus abscheulichen Kreaturen, unaussprechlichen Kulten und verbotenen Büchern wie dem „Necronomicon“ des Arabers Abdul Al-Hazred, angesiedelt an der amerikanischen Ostküste zwischen fiktiven Kleinstädten (Dunwich, Arkham, Innsmouth), nur durch eine bröckelige Mauer vom „kosmischen Grauen“ und der Unendlichkeit des Universums getrennt (vgl. ebd., 196-199).

Die Götter in Lovecrafts Mythologie tragen Namen wie Dagon, Nyarlathotep, Cthulhu, Azathoth, Shub-Niggurath, Hastur und Yog-Sothoth. Ebenso finden sich „kleinere“ außerirdische Rassen wie die „Großen Alten“, die Mi-Go, die Schoggothen und die „Tiefen Wesen“. Sie alle eint, dass sie grundsätzlich „unbeschreiblich“, „blasphemisch“ und „unaussprechlich“ sind (vgl. Olles 2019, 196-200; Houellebecq 2016, 78f.).

Diese Kreaturen bringen den Menschen weder Harmonie noch Wohlwollen, sie stehen über moralischen Kategorien wie „gut“ und „böse“. Wenn sie mit den Menschen Kontakt aufnehmen, für den Fall, dass sie uns überhaupt wahrnehmen, sind wir für sie höchstens „Nahrung“ oder „Spielzeuge“. Doch nicht einmal der Tod bringt in dieser Welt Erlösung (vgl. Houellebecq 2016, 19f.).

Houellebecq unterteilt das Werk Lovecrafts in vier große Kreise. Der erste Kreis besteht aus seiner Korrespondenz, in seinem gesamten Leben schrieb er über einhunderttausend Briefe, manche von ihnen bis zu vierzig Seiten lang, und seinen unzähligen Gedichten. Zum zweiten Kreis gehören die Geschichten, an denen Lovecraft mitgearbeitet hat. Der dritte Kreis umfasst die Werke, die er selbst verfasst hat und der vierte Kreis, der innerste, besteht aus den bereits genannten Texten des „Cthulhu-Mythos“ (vgl. ebd., 27f.).

Es seien noch ein paar Worte zu Lovecrafts Mentalität und seiner politischen Einstellung anzumerken. Es ist wohlbekannt, dass er rassistisch und reaktionär war, er verachtete die Demokratie, den Fortschritt, den Liberalismus und den Kommerz (vgl. ebd., 27). Er sah Mussolini als Vorbild, verehrte die „nordische Rasse“ als die höchste unter allen Völkern, setzte sich für die Sezession von Neuengland und Rückkehr zur Herrschaft unter der britischen Krone ein und verfasste sehr lange Tiraden gegen Ausländer und Minderheiten – unabhängig davon, ob sie nun jüdisch, mexikanisch, italienisch, polnisch oder schwarz waren (vgl. Olles 2019, 197; Houellebecq 2016, 104-108).

Sein gesamtes Leben lang sah er sich selbst als „Aristokrat“, als „Edelmann“, der nichts als Verachtung gegenüber den Massen und der Menschheit hegte (vgl. Houellebecq 2016, 27). Michel Houellebecq fasst seine Haltung sehr gut zusammen: „Ein absoluter Haß auf die Welt im allgemeinen, verstärkt durch eine Abneigung gegen die moderne Welt im besonderen“ (ebd., 47).

Diese Mentalität durchdringt auch die Werke Lovecrafts. Seine Protagonisten sind angesichts des „kosmischen Grauens“ keine übermenschlichen Helden, sondern „stumme, erstarrte, völlig ohnmächtige und gelähmte Beobachter“ (ebd., 63), die „am liebsten davonlaufen oder in der Bewußtlosigkeit einer barmherzigen Ohnmacht versinken [würden]“ (ebd.). Lovecrafts Figuren besitzen keine differenzierte Persönlichkeit, noch benötigen sie eine, sie sollen einfach nur wahrnehmen (vgl. ebd., 62). Doch wenn sie in die „Unendlichkeit des Kosmos“ blicken, sind sie nur in der Lage, ihre Wahrnehmungen negativ und minimalistisch zu äußern: „the beyond, the unnameable, the nameless thing, the thing on the doorstep, the lurker on the threshold, the whisperer in the darkness“ (Thacker 2015, 113).

Seine reaktionären Sichtweisen und sein Rassismus werden mal weniger, mal mehr deutlich in seinen Werken. Beispielsweise ist „Schatten über Innsmouth“ eine Geschichte über Fischkreaturen, die an Land krabbeln und sich mit Menschenfrauen paaren, um „schreckliche Hybride“ zu zeugen und ihrem Gott Dagon zu huldigen. Sie handelt aber auch über „genetischen Verfall“, „Rassenmischung“ und „Degeneration“ (Lovecraft 2011b, 163-244; Houellebecq 2016, 70).

In „Grauen in Red Hook“ tritt es besonders zutage:

Aus diesem Durcheinander gegenständlicher und geistiger Fäulnis steigen die Gotteslästerungen von hunderten Dialekten gen Himmel […] Er war sich bewusst, dass moderne Menschen unter gesetzlosen Bedingungen unweigerlich dazu neigen, die dunkelsten Instinktvorbilder primitiver Halbaffenwildheit in ihrem täglichen Leben und ihren rituellen Feiern zu wiederholen […] In den wimmelnden Quartieren war eine ungewöhnliche Kolonie unbestimmbarer schlitzäugiger Leute entstanden, die sich des arabischen Alphabets bedienten, die aber von der großen Masse der Syrer lautstark abgelehnt wurden“ (zit. nach Olles 2019, 197).

Am 15. März 1937 starb Lovecraft schließlich nahezu unbemerkt an Darmkrebs, völlig verarmt und weitgehend unbekannt, doch mit seinem Tod hörte sein Werk nicht auf, andere (besonders mit ihm befreundete) Autoren nahmen seine Ideen, seine Gestalten, seine Mythologie auf (vgl. Houellebecq 2016, 118ff.). Der „Kosmische Horror“ war geboren.

Doch worum handelt es sich dabei? In Lovecrafts Essay „Supernatural Horror in Literature“ formuliert er das Axiom des „cosmic horror“: „The oldest and strongest emotion of mankind is fear, and the oldest and strongest kind of fear is fear of the unknown“ (Lovecraft 2020, 13). Einen ähnlichen Satz formulierte er in seinem Essay „Notes on Writing Weird Fiction“: „Horror and the unknown or the strange are always closely connected, so that it is hard to create a convincing picture of shattered natural law or cosmic alienage or ‚outsideness‘ without laying stress on the emotion of fear“ (Lovecraft 2020, 113).

Der Hauptaspekt des „Kosmischen Horrors“ ist somit die „Angst vor dem Unbekannten“. Eugene Thacker argumentiert, dass die Ideen des „Kosmischen Grauens“ weniger durch „Emotionen“ und mehr durch „Gedanken“ bzw. durch die „Grenze von Gedanken“ bestimmt werden (vgl. Thacker 2015, 120), „all thought is paradoxically constituted as limit, a strange but perhaps enchanting abyss at the core of thought itself […] Here horror is not the fullness of feeling, but the emptiness of thought“ (ebd., S. 120f.). Der Schrecken ist wortwörtlich nicht denkbar, das Unbekannte übersteigt die menschliche Vorstellungskraft.

Ein zweiter Aspekt des „Kosmischen Horrors“ ist das Hereinbrechen des Grauens in die normale Realität, „an outside that breaks through in encounters with anomalous entities from the deep past, in altered states of consciousness, in bizarre twists in the structure of time“ (Fisher 2016, 16). Alle Ausprägungen des „Kosmischen Grauens“ eint, dass sich unter einer hauchdünnen Decke von Normalität und Alltäglichkeit, eine zweite, weitaus tiefere Wirklichkeit befindet, bewohnt von unvorstellbarem Schrecken und grausamen Wahrheiten, ein Abgrund unbekannten Ausmaßes, nur einen falschen Schritt entfernt (vgl. Illger 2021, 25f.). Diese Begegnungen enden oft in Wahnsinn und Zusammenbrüchen (vgl. Fisher 2016, 16).

Der dritte Aspekt ist, dass „cosmic horror“ sich komplett gegen das Menschliche stellt, der Mensch selbst wird nicht mehr als die Krone der Schöpfung betrachtet, angesichts des endlosen Kosmos ist er bedeutungslos. Er befindet sich auf einer kleinen, einsamen Insel inmitten eines düsteren Ozeans der Unendlichkeit, von der ihn keiner retten wird. „Kosmischer Horror“ stellt sich sowohl gegen den Anthropozentrismus (der Mensch als Mittelpunkt der Existenz) als auch gegen den Anthropomorphismus (die Vermenschlichung der Welt). „Kosmisches Grauen“ ist somit anti-humanistisch (vgl. Thacker 2015, 123f.). Die Menschheit kann das, was sich hinter dem Schleier verbirgt, nicht begreifen.

Und im Gegensatz z.B. zum christlichen Gott, der die Menschheit über alles liebt, sind den Schrecken des Abgrunds die Menschen gleichgültig. In den meisten Erzählungen des „Kosmischen Horrors“ entpuppt sich der schädliche Einfluss oftmals nur als Nebenwirkung der bloßen Anwesenheit des „Unnennbaren“. Thacker schreibt, „[h]ere the world is neither anthropic nor misanthropic, but simply indifferent, an indifference registered by the human in the utter apophatic blackness of incomprehensibility“ (ebd., 126).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der „Kosmische Horror“ von drei Aspekten bestimmt wird: die Angst vor dem Unbekannten, das Hereinbrechen des „Anderen“ in die normale Welt und der Anti-Humanismus. In Abgrenzung zu anderen Spielarten des Horrors schreibt David Illger: „[Kosmisches Grauen] hat mehr zu tun mit einer auf unerklärlicher Weise verstummten Welt als mit einer Welt, die nur so lange verstummt ist, bis das Stöhnen und Fauchen der Zombiehorde von den Hauswänden widerhallt“ (Illger 2021, 39).

Zum Schluss dieses Kapitels möchte ich auf einige Vertreter des „cosmic horror“ eingehen. Lovecraft gilt als Mittelpunkt dieser literarischen Richtung, er selbst sieht die ersten Ursprünge in den alten volkstümlichen Erzählungen aller Völker, wie die skandinavische Edda oder die Nibelungen-Saga (vgl. Lovecraft 2020, 18-21). Seine direkten Vorläufer sind Edgar Allan Poe, der das Horror-Genre und die „weird tale“ erst salonfähig machte (vgl. ebd., 51), Ambrose Bierce und Robert W. Chambers mit seinen Erzählungen vom „King in Yellow“ (vgl. ebd., 64-70).

Schriftsteller, die von Lovecraft direkt beeinflusst wurden und zum „Cthulhu-Mythos“ beigetragen haben, sind Clark Ashton Smith (vgl. ebd., 71), Robert Bloch, August Derleth, Frank Belknap Long, Lin Carter und Donald Wandrei (vgl. Houellebecq 2016, 22).

Zeitgenössische Vertreter des „Kosmischen Horrors“ sind u.a. Thomas Ligotti mit seinem extrem pessimistischen, anti-humanistischen „Corporate Horror“ („Schrecken der unmenschlichen, kapitalistischen Bürowelt“) und China Miéville, der das „New Weird“-Genre maßgeblich mitformte (vgl. Thacker 2011, 75). Sein Roman „Der Krake“ (2011) ist ein exzellentes Beispiel für modernen „Kosmischen Horror“ (vgl. Miéville 2011, 9-734). 

3. „Uzumaki – Spirale into Horror“ (Junji Ito) – Wiederholung und Unendlichkeit im Kosmischen Grauen

Bei „Uzumaki – Spiral into Horror“ handelt es sich um einen japanischen Manga (erschienen im Original 2010; die deutsche Übersetzung, auf die ich mich beziehe, stammt aus dem Jahr 2019), geschrieben und gezeichnet von Junji Ito. Dieser wurde 1963 in der Präfektur Gifu auf der japanischen Hauptinsel Honshu geboren. Sein erster Versuche mit dem Horrorgenre war 1987 eine Kurzgeschichte über die Femme fatale Tomie, die Serie lief bis zum Jahr 2000 im „Monthly Halloween“-Magazin. Weitere Werke sind die Kurzgeschichtensammlungen „Shiver“ (2021) und die bereits erwähnte „Tomie“-Reihe (2022) sowie die Erzählungen „Gyo“ (2020), „Sensor“ (2022) und „Remina“ (2023). „Uzumaki“ ist sein bekanntestes und mit über 600 Seiten bisher längstes Werk. Zu Itos Vorbildern gehören der Künstler Kazuo Umeza, die Autoren und Zeichner Hideshi Hino und Yasutaka Tsutsui sowie der Schriftsteller H. P. Lovecraft (vgl. Ito 2019, 654).

Uzumaki“ besteht aus neunzehn Kapiteln, einem „verschollenen Kapitel“ und zwei eher humoristischen Nachworten.

Die Geschichte spielt in der japanischen Kleinstadt Kurouzu, die von einer mysteriösen „Spiralen-Obsession“ heimgesucht wird. Im Zentrum stehen die junge Schülerin Kirie Goshima und ihr Freund Shuichi Saito, der eine Schule in der Nachbarstadt besucht. Die ersten zwei Kapitel („Von Spiralen besessen“ I und II) zeigen den Beginn der Obsession. Es beginnt sehr klein mit dem Vater von Shuichi, der aus heiterem Himmel eine ungesunde Faszination von Spiralen entwickelt. Stundenlang betrachtet er Schneckenhäuser, sammelt alle möglichen spiralförmigen Gegenstände, erzeugt Wirbel in seinem Essen und in der Badewanne. Er starrt in die Spiralen hinein und vergisst die Welt um sich herum. Später fängt Mr. Saito sogar an, seine Augen unabhängig voneinander zu drehen und seine Zunge zu einer Spirale zu formen (vgl. ebd., 3-35).

Währenddessen tauchen in der Stadt vermehrt kleine Strudel in Flüssen, Windhosen und  Wirbel in den Wolken auf. Selbst Pflanzen nehmen vermehrt Spiralen als Form an (vgl. ebd., 4-27). Shuichi scheint als einziger zu bemerken, dass etwas nicht stimmt: „Spiralen! Diese Stadt ist verseucht von Spiralen …“ (ebd., 17).

Am Ende des ersten Kapitels bringt sich Mr. Saito um, indem er sich mithilfe eines Zubers zu einer Spirale aufrollt. Bei der Verbrennung seiner Leiche formt der Rauch aus dem städtischen Krematorium einen Wirbel, der daraufhin in den örtlichen Libellenweiher hinabsinkt (vgl. ebd., 36-50).

Seine Frau erleidet im zweiten Kapitel einen Nervenzusammenbruch, jegliche Spirale erzeugt in ihr Panik. Sie schneidet sich die Fingerkuppen ab, rasiert sich die Haare und rammt sich eine Schere in ihr Ohr, um die Hörschnecke zu zerstören. Dabei wird sie von Halluzinationen ihres verstorbenen Mannes heimgesucht (vgl. ebd., 50-74), der ihr sagt: „Du musst die Spirale lieben!“ (ebd., 63). Kurze Zeit später verstirbt auch sie und ihr Rauch bildet genauso wie der ihres Mannes eine Spirale (vgl. ebd., 74).

Kapitel 3 bis 17  beschreiben den stetig wachsenden Einfluss der Spirale auf die Stadt. Eine sichelförmige Narbe wächst zu einer größer werdenden Spirale heran und verschlingt eine junge Schülerin (vgl. ebd., 75-106).

Der Vater von Kirie, ein örtlicher Töpfer, entwickelt eine ähnliche Spiralen-Obsession wie Mr. Saito. In seinem Ofen nehmen seine getöpferten Kunstwerke surreale Spiralformen an. Kirie findet heraus, dass er den Lehm aus dem Libellenweiher verwendet, in dem jedes Mal der Rauch der kürzlich verbrannten Leichen hinabsinkt (vgl. ebd., S. 107-138).

In Kapitel 6 entwickeln die Haare von Kirie und einer Mitschülerin namens Sekino ein Eigenleben. Egal was sie tun, ihre Haare werden zu spiralförmigen Locken, die aggressiv auf Feinde reagieren und Menschen hypnotisieren. Nur durch das schnelle Eingreifen von Shuichi kann Kirie gerettet werden, ihre Mitschülerin Sekino wird hingegen von ihrer eigenen Frisur ausgesaugt (vgl. ebd., 171-202).

Kurze Zeit darauf mutieren einige Menschen zu monströsen Schnecken. Ein Lehrer zerstört die Eier der „Weichtier-Menschen“, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, verwandelt sich aber daraufhin ebenfalls in eine Schnecke (vgl. ebd., 235-266).

Auch der Leuchtturm der Stadt bleibt nicht von der Spirale verschont, sein Licht wirbelt und dreht sich, obwohl er bereits seit Jahren verlassen sein soll. Menschen werden von ihm hypnotisiert, fangen an, sich im Kreis zu drehen. Sie werden wie Motten von ihm angezogen, in dem Turm gelockt (wo sich eine Wendeltreppe befindet) und vom Licht verbrannt (vgl. ebd., 267-298).

Die Protagonistin Kirie erleidet Verbrennungen und muss im Krankenhaus behandelt werden. Währenddessen breiten sich wirbelnde Mückenschwärme aus, woraufhin sich schwangere Frauen wie Mücken benehmen und mehrere Menschen umbringen, um ihr Blut zu trinken (vgl. ebd., 299-330). Die Kinder werden im nächsten Kapitel geboren und zeigen selbstverständlich ebenfalls ein abnormes Verhalten. Die Plazenta der (sprechenden) Neugeborenen sind mit Spiralen bedeckt, ein Doktor im Krankenhaus züchtet und verspeist sie. Er wird jedoch danach  von einer „Mückenfrau“ getötet, der er kurz zuvor noch ihr Baby in den Mutterleib zurück operiert hatte (vgl. ebd., 331-362).

Ab Kapitel 12 nimmt die Handlung zunehmend apokalyptische Züge an. Mehrere Taifune verwüsten die Stadt (vgl. ebd., 363-394), die Bewohner ziehen sich in alte, leerstehende Häuser zurück, denen der Wind anscheinend nichts anhaben kann. Mehrere Gruppen von außerhalb versuchen den Menschen zu helfen, müssen dann aber feststellen, dass sie die Stadt nicht mehr verlassen können. Hubschrauber werden von Tornados erfasst und stürzen ab, Schiffe werden von Wasserstrudeln versenkt (vgl. ebd., 395-516). Die Protagonisten und eine neu dazu gestoßene Reporterin lernen, dass das kleinste Geräusch einen Wirbelwind verursachen kann. Die Journalistin erkennt: „Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann Tausende von Kilometern entfernt einen Wirbelsturm auslösen. In dieser Stadt ist das auf kleinstem Raum eingetreten“ (ebd., 447). Die neugewonnen Fähigkeiten werden von Banditen ausgenutzt (vgl. ebd., 458-490).

Kirie, ihr kleiner Bruder, Shuichi und die Journalistin versuchen aus der Stadt zu fliehen, während die Hilfstrupps die alten, windfesten Häuser neu aufbauen. Die Flucht gestaltet sich aber als schwieriger als gedacht, denn wohin sie auch laufen, sie kommen immer wieder zum Anfang zurück. Sie begegnen einer Gruppe von Flüchtigen, deren Körper sich zu Spiralen verdrehen (vgl. 528-555).

Die Reise scheint mehrere Jahre gedauert zu haben, denn als die Gruppe (nun zu dritt, da sich Kiries Bruder in eine Schnecke verwandelt hat) zur Stadt zurückkehrt, sind die alten Häuser wiederaufgebaut worden. Die Stadt ist dabei wie ein Labyrinth oder eine Spirale geformt. Shuichi vermutet, dass Kurouzu bereits früher wie eine Spirale aufgebaut war. Die Bewohner, die sich in den Häusern versteckt haben, sind währenddessen zu einer spiralförmigen Masse mutiert und werden am Ende des achtzehnten Kapitels in den nun ausgetrockneten Libellenweiher gezogen (vgl. ebd., S. 556-587).

Am Grunde des Sees entdecken Kirie und Shuichi eine Wendeltreppe, die sie hinabsteigen. Ganz unten finden sie die Wahrheit, eine riesige Ruinenstadt aus Spiralen, die ein mysteriöses Licht ausstrahlt. Der Boden ist von unzähligen Generationen versteinerter Einwohner Kurouzus bedeckt, deren Blick auf das Licht gerichtet ist. Nach einem gewissen Zeitraum gelangt die Macht der Spirale an die Oberfläche und verursacht die merkwürdigen Anomalien und die Obsession. Die Bewohner der Stadt werden ein Teil der Spirale. Kirie und Shuichi verknoten sich ineinander, der Zugang zur unterirdischen Stadt wird wieder verschlossen. Auf den Ruinen des alten Kurouzu würde eine neue Siedlung gebaut werden (vgl. ebd., 587-610) und der Zyklus beginnt von vorn, „[wenn] die ewige Spirale erneut erwacht …“ (ebd., 610).

Uzumaki“ ist „Kosmischer Horror“ par excellence. Die Spirale ist eine unbekannte, anti-humanistische Kraft, die in das Leben der ahnungslosen Stadtbewohner hinein bricht. Die Menschen können sie nicht begreifen, sie finden keine Antworten auf das „Wie“, „Wer“ und „Warum“. Die Spirale selbst ist vollkommen indifferent gegenüber den Menschen, ob sie nun angebetet und verherrlicht, gesammelt, benutzt oder bekämpft wird, scheint für sie nicht von Belang zu sein. Ausnahmslos jeder wird in die Spirale hineingezogen, sie macht keinen Unterschied zwischen Freund und Feind, zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und Gegenständen. In der Handlung wird nicht klar, ob es sich um ein bewusstes oder willkürliches Verhalten handelt. Fakt ist, die Spirale existiert unabhängig vom Menschen, sie war vor ihm da und wird auch nach ihm noch existieren. Eugene Thacker beschreibt das Phänomen der Spirale als „the unhuman [sic!]“ (Thacker 2015, 139). Das Schicksal der Menschheit ist es, von der Spirale assimiliert zu werden.

Das Motiv der Wiederholung ist am offensichtlichsten. Das Symbol der Spirale lässt sich in unzähligen Variationen finden und wird in der Geschichte durchgehend wiederholt, ob nun als Schneckenhäuser, in Kunstwerken, im Flugverhalten von Mücken, in Wasserstrudel, in Windhosen und Tornados, in Augenbewegungen, in Rauchwolken, im Himmel, in der Vegetation, in Haarlocken, in Narben, auf Fingerkuppen, in Wendeltreppen und in den wirbelnden Lichtern eines Leuchtturms. Die Stadt Kurouzu selbst ist am Ende wie eine Spirale aufgebaut und durchläuft einen Zyklus.

Das Symbol der Spirale wiederholt sich sogar auf einer gewissen Meta-Ebene. Die Handlung bewegt sich spiralförmig, vom äußersten Rand (eine kleine Obsession) bis zum Zentrum (die Opferung einer gesamten Stadt). Die Figuren befinden sich auf einer stetig eskalierenden, spiralförmigen Bahn. Am Ende gelangen Kirie und Shuichi ins Zentrum der Spirale, wo die Zeit selbst stehen bleibt, wo Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft eins werden, die Spirale „stößt vor zum Terror des Augenblicks“ (Daemmerich 1995, 332). Die Spirale bewegt sich unweigerlich zum Zentrum, wo die Protagonisten die Wahrheit erfahren, „[v]om Außenkreis strebt die Spirale zur Mitte, zum Abgrund und zur ungeschichtlich gedeuteten Vergangenheit. Der Sog zieht die Figuren ins Zentrum […] der Macht“ (ebd., 331).

Das Motiv der Unendlichkeit ist etwas schwieriger zu erkennen, in der Handlung wird aber angedeutet, dass sich der Zyklus, in dem sich die Stadt befindet, bereits seit Ewigkeiten vollzieht und vollziehen wird. Die Spirale wird als „ewig“ beschrieben (vgl. Ito 2019, 610). Besonders deutlich wird dieses Motiv im sogenannten „verschollenen Kapitel“ („Galaxien“), wo sich sogar der „unendliche Kosmos“ der Macht der Spirale beugt und neue, spiralförmige Galaxien entstehen lässt (vgl. ebd., 613-647), doch die neu entdeckten Galaxien sind mehr als das, [the Galaxy] appears to have spirals upon spirals of star-stuff folding in on itself“ (Thacker 2015, 138). Das unendliche Universum wird selbst zur Spirale. Sie ist ein unendliches Symbol, ein nie endender Strudel.

4. Schlussfolgerungen

Abschließend möchte ich die Erkenntnisse zusammenfassen und die Frage beantworten, inwiefern „Unendlichkeit“ und „Wiederholung“ dazu beitragen können, ein Gefühl von „Kosmischem Grauen“ zu erzeugen.

Der „Kosmische Horror“ wurde vom US-amerikanischen Schriftsteller H. P. Lovecraft begründet, der den „cosmic horror“ als die „Angst vor dem Unbekannten“ beschrieb. Die Hauptaspekte des „Kosmischen Grauens“ sind die Angst vor dem Unbekannten, das Hereinbrechen des „Anderen“ in die alltägliche Realität und der Anti-Humanismus.

Wie ich bereits dargelegt habe, ist „Uzumaki“ ein perfektes Beispiel für „Kosmischen Horror“. Die Spirale bricht in die alltägliche Realität des kleinen Städtchen hinein, sie lauert wortwörtlich unter der „normalen Schicht“. Sie ist ein unbekanntes Phänomen, das Angst in den Menschen auslöst. Sie ist die Definition von anti-humanistisch, sie stellt sich gegen Anthropozentrismus und Anthropomorphismus, um genau zu sein, ist sie „spiralzentristisch“ (alles wird in die Mitte der Spirale gezogen) und „spiralmorphistisch“ (alles wird zur Spirale geformt).

Inwiefern können „Wiederholung“ und „Unendlichkeit“ ein Gefühl von „Kosmischen Horror“ erzeugen? Die ständigen Wiederholungen der Spirale, ihre ständigen Variationen entfremden den Menschen, verdrängen ihn aus dem Zentrum seines Daseins. Er wacht zunehmend in einer Umwelt oder einer Realität auf, die nicht mehr die seine, ihm diametral entgegengestellte ist.

Die Unendlichkeit, der sich bis in alle Ewigkeiten vollführende Zyklus (der auch nichts anderes als eine Wiederholung ist), lässt all sein Tun bedeutungslos erscheinen. Der Mensch ist nicht mehr die Krone der Schöpfung, der Herr über seinen Kosmos, sondern nichts weiter als ein geringfügiger Bestandteil der unbekannten Unendlichkeit, die er nie begreifen wird. Weder kann er seinem Schicksal entkommen, noch kann er es ändern. Er ist nichts weiter als eine Spielfigur in einem sich unendlich erstreckenden Universum, das sich nicht für ihn interessiert. Die Unendlichkeit ist weder anthropisch noch misanthropisch, sie ist einfach indifferent.

Eine Frage bleibt aber noch offen: Nehmen wir dieses Schicksal an oder bündeln wir unsere Kräfte und machen das Beste aus der Situation?

5. Quellen- und Literaturverzeichnis

  1. Daemmerich, Horst S.; Daemmerich, Ingrid G. (1995): Themen und Motive in der Literatur. Ein Handbuch, 2. Aufl., Tübingen; Basel: Francke Verlag.
  2. Fisher, Mark (2016): The Weird and the Eerie, London: Repeater Books.
  3. Houellebecq, Michel (2016): Gegen die Welt, gegen das Leben. H. P. Lovecraft, Köln: DuMont Buchverlag.
  4. Illger, David (2021): Kosmische Angst, Berlin: MSB Matthes & Seitz.
  5. Ito, Junji (2019): Uzumaki. Spiral into Horror, Hamburg; Carlsen Verlag.
  6. Lovecraft, Howard Phillips (2011a): Der Ruf des Cthulhu, in: Festa Verlag (Hg.): H. P. Lovecraft. Chronik des Cthulhu-Mythos I. Mit einem Vorwort und Erläuterungen von Marco Frenschkowski, Bd. 1, Leipzig: Festa Verlag, S. 87-124.
  7. Lovecraft, Howard Phillips (2011b): Schatten über Innsmouth, in: Festa Verlag (Hg.): H. P. Lovecraft. Chronik des Cthulhu-Mythos II. Mit einem Vorwort und Erläuterungen von Marco Frenschkowski, Bd. 2, Leipzig: Festa Verlag, S. 163-244.
  8. Lovecraft, Howard Phillips (2020): Supernatural Horror in Literature, in: Read & Co. Books (Hg.): In the Mind of H. P. Lovecraft. A Collection of Essays, Bristol: Read & Co. Books, S. 13-100.
  9. Lovecraft, Howard Phillips (2020): Notes on Writing Weird Fiction, in: Read & Co. Books (Hg.): In the Mind of H. P. Lovecraft. A Collection of Essays, Bristol: Read & Co. Books, S.113-118.
  10. Miéville, China (2011): Der Krake, Köln: Bastei Lübbe.
  11. Olles, Werner (2019): Howard Phillips Lovecraft. Chronist des Grauens, in: ders. (Hg.): Grenzgänger des Geistes. Vergessene, verkannte und verfemte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, Beltheim-Schnellbach: Lindenbaum Verlag, S. 195-203.
  12. Thacker, Eugene (2011): In The Dust of This Planet. Horror of Philosophy, Bd. 1, Washington; Winchester: Zero Books.

13. Thacker, Eugene (2015): Tentacles Longer Than Night. Horror of Philosophy, Bd. 3, Washington, Winchester: Zero Books.

6. Eidesstattliche Erklärung

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und nur unter Zuhilfenahme der ausgewiesenen Hilfsmittel angefertigt habe. Sämtliche Stellen der Arbeit, die im Wortlaut oder dem Sinn nach anderen gedruckten oder im Internet verfügbaren Werken entnommen sind, habe ich durch genaue Quellenangaben kenntlich gemacht.

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