Das Feuer im Kamin loderte seelenruhig, von allen Problemen in der Welt ungestört, vor sich hin. Draußen in der eisigen Weite begann die Dämmerung einzusetzen. Zu dieser Jahreszeit wurde es bereits sehr früh dunkel, die Tage begannen wieder kürzer zu werden. Der Wind lag still, mit Schnee war noch nicht zu rechnen. Soweit das Auge reichte, war in dieser grauen Landschaft nichts Nennenswertes vorhanden, nur hartnäckige Gräser, Kräuter und mit Moos bewachsene Steine. Ab und an erhoben sich einsam graugrüne Nadelbäume wie hölzerne Wachtürme aus dem Dauerfrostboden. Im Sommer erwachte dieser Friedhof der Natur jedoch zum Blühen. Und was für ein Spektakel es immer war. Die Pflanzen öffneten für eine gewisse Zeit ihre farbenfrohen Blüten, die Landschaft erstrahlte in allen möglichen Farben. Insekten rissen sich aus dem Winterschlaf, um innerhalb ihres befristeten Daseins zu fressen, Blumen zu bestäuben und sich zu paaren. Gewaltige Rentierherden spazierten über die lebendigen Wiesen und fraßen sich an den grünen Pflanzen satt. Sie gebaren ihre Jungen, zogen sie groß und marschierten dann weiter. Und gegen Ende der Jahreszeit verschwand das Leben wieder, bis der Kreislauf von Neuen begann.
Dinesh Khan schaute aus dem großen Fenster seiner imperialen Villa, welche mitten im Herzen dieser kalten Landschaft erbaut wurde, direkt neben einem See, der jedes Jahr zufror. Das Glas reflektierte sein majestätisches Aussehen. Den muskulösen Körper. Den kräftigen Kiefer und den mächtigen Hals. Seine bernsteinfarbenen Augen. Die weißpolierten Reißzähne. Das gepflegte orange-weiße Fell mit den schwarzen Streifen. Dinesh achtete sehr auf sein Äußeres und verbrachte viel Zeit mit der Körperpflege. Das bedeutete: Waschen und Kämmen der Haare, Zurechtstutzen der Schnurrhaare (ein biologisches Relikt aus primitiveren Zeiten), Feilen der Krallen, tägliches Muskelaufbautraining, viermal am Tag Zähneputzen (nach jeder Mahlzeit) und eine fettarme, eiweißreiche Ernährung.
Es gehörte zu Dinesh seinen Beruf, gepflegt aufzutreten. Immerhin war er der »Obere Kolonialoffizier« im Dienste des Gouverneurs der nördlichen »Ledyanaya-Pustynya-Kolonie«. Schlampiges Aussehen war eine Todsünde, schließlich wollte man das Ansehen der kaiserlichen Familie nicht in den Dreck ziehen.
Dinesh trat vom Fenster weg. Er betrachtete die vielen Trophäen, die an seiner Wand montiert waren. Er war wahrlich ein begnadeter Jäger, zumindest behauptete er das immer vor seinen Freunden und Kollegen. In Reih und Glied hingen die ausgestopften Köpfe von Nashörnern, Gazellen, Rentieren, Kleinbären, Hirschen sowie von diesen primitiven Primaten mit den nahezu haarlosen Gesichtern und breiten Nasen. Davon besaß er mehrere, sogar eine mit komplettem Körper. Es machte einfach zu viel Spaß, diese nackten Affen zu jagen, obwohl sie keinerlei Herausforderung darstellten. Selbst die »Riesen« unter ihnen wurden nicht größer als fünf Fuß. Und ihre angespitzten Stöcker konnten auch nicht viel gegen Gewehre ausrichten, die in der Lage waren, einem Elefanten ein Loch in den Schädel zu pusten. Aber Dinesh musste zugeben: Es war ziemlich witzig, sie vor Angst rennen zu sehen. Besonders ergötzte er sich daran, wenn die Männchen einen Kampf versuchten. Und dann die großen Augen der anderen, wenn sie sehen, wie die Brustkörbe ihrer ach so stolzen Krieger in einer Blutfontäne explodierten. Köstlich, fand Dinesh. Zum Brüllen komisch.
Dinesh ging zum Kamin und legte weitere Holzscheite hinein, damit die Flamme brav weiter brannte. Ohne die Wärme des Feuers würde die Temperatur im Raum sehr schnell sehr ungemütlich werden. Sein Blick fiel dabei auf das Gemälde, das über dem Kaminsims hing. Eine kunstvolle Porträtmalerei, die die ehrwürdige Kaiserin des Reiches abbildete – Benisha Svargeeydoot Khagan, die erste weibliche (und jüngste) Monarchin auf dem Thron. Ihr Fell war so weiß wie der Schnee auf den hohen Bergen, wo der ewige Himmelspalast auf die sterbliche Welt hinunterschaute. Ihre Augen waren blauer als die Saphire ihrer Krone, blauer als der tiefe Ozean. Wahrlich ihre Familie war mit gottgleichen Attributen gesegnet. Sie waren die Halbgötter ihrer Rasse, dazu auserkoren das Reich zu führen und über alle anderen Völker zu herrschen.
Dinesh streckte seine behandschuhte Hand aus und streichelte, liebkoste das Gemälde. Was würde er nur dafür geben, auch nur in der Nähe der Familie Svargeeydoot zu sein. Sich in ihren göttlichen Glanz zu baden. An ihrer Seite zu sitzen und zu speisen. Offen mit ihnen zu sprechen. Doch ihm war bewusst, dass ihm das nicht vergönnt war. Im gesellschaftlichen Rang stand er weit unter ihnen, trotz seiner Stellung als Kolonialoffizier, trotz seines Khan-Titels. Er durfte nur in ihre Nähe, wenn sie es wollten. Er durfte nur sprechen, wenn sie es befahlen. Er war ein Untergebener, kein Freund und kein Gleichgestellter. Nur einmal hatte er das Privileg, sich im unmittelbaren Umkreis eines Mitgliedes der Kaiserfamilie aufzuhalten. Damals im Krieg, General Aditya Svargeeydoot …
Das Öffnen der Wohnzimmertüren unterbrach Dinesh in seinen Gedanken. Sein Butler, ein kleinwüchsiger Gepard namens Bulelani, trat hinein. Sein treuer Diener trug ein einfaches schwarzes Jackett sowie ein schlichtes weißes Hemd. Er verbeugte sich in einer anmutigen Geste und sprach: »Dinesh Khan, Ihr ehrwürdiger Gast, der hochachtungsvolle Offiziersdozent Batu Khan, ist soeben eingetroffen. Soll ich ihn hereinbringen?«
Dinesh strich seine blaue Uniform glatt und antwortete: »Sei so lieb, bring ihn zu mir. Ich erwarte ihn bereits sehnsüchtig.«
Wieder verbeugte sich Bulelani: »Wie Ihr wünscht, ehrfürchtiger Dinesh Khan. Ich werde Euren Gast sofort zu Euch bringen«, sogleich verschwand er wieder.
Dinesh lächelte. Er freute sich, schließlich hatte er Batu seit Jahren nicht mehr gesehen. Was hatten sie sich alles zu erzählen, so viele Geschichten, die nachgeholt werden mussten. Die beiden waren Kindheitsfreunde und Waffenbrüder. Doch nach dem »21-Tage-Krieg« verloren sie sich aus den Augen und gingen getrennte Karrierewege. Aber vor einer Woche erreichte Dinesh ein Brief seines alten Gefährten und er fragte, ob er auf einen netten Plausch vorbeikommen könnte. Ein wenig Palavern und Genussmittel konsumieren, schrieb er mit augenzwinkernden Unterton.
Sein Butler brachte den großen Tigermann, der ihn um mehrere Köpfe überragte, in das Wohnzimmer. Batu trug ebenfalls die blaue Uniform der »Imperialen Armee Ihrer Majestät« sowie die dazugehörige beige Hose und die hohen schwarzen Militärstiefel. Beim Anblick von Dinesh breitete er seine mächtigen Arme aus, sein Lächeln strahlte über das gesamte Gesicht und er rief mit freudiger Stimme: »Dinesh, du verdammter Schakal! Wie lange ist es her? Komm, lass dich in die Arme nehmen!«
»Batu, du Sohn eines Pumas! Das Angebot nehm ich doch gerne an!«, erwiderte Dinesh.
Die beiden umarmten sich, der alte Freund streichelte ihn mit seiner großen Pranke über den Kopf und klopfte ihn auf die Schultern.
»Nun sieh dich doch einer an. Bist ja groß geworden. Und Gewicht hast du auch zugelegt. Aber sehe ich da graue Haare in deinem Fell?«, Batu lachte.
»Alter Scherzbold. Wenn hier einer grau wird, dann du. Deine Streifen hatte ich schwärzer in Erinnerung.« Batu lachte noch viel lauter.
Die beiden lösten sich aus ihrer Umarmung.
»Nun sag, Batu. Wie geht es dir? Was macht deine liebe Gemahlin?«
»Mein Rücken macht mir etwas zu schaffen. Du weißt ja … die Kutschen. Immer so unbequem. Meiner Frau geht es hervorragend. Sie hat erst kürzlich geworfen.«
»Sag bloß, Batu. Du, Vater? Wie viele sind es geworden?«
Sein Freund streckte stolz seine Brust hinaus und hielt seine weißbehandschuhte Pranke hoch. »Fünf prächtige Welpen!«, verkündete er voller Eifer. »Mordskerle, das sag ich dir! Alles Jungs, alle prächtig gesund. Und mit welcher Lebensenergie sie doch gesegnet sind. Kaum haben sie die Augen auf, hüpfen sie auch schon wie wild durch die Gegend. Esha kommt kaum hinterher, diese Horde von Buben zusammen zu halten.«
»Ganz wie der Vater. Aber sag mal … gleich fünf Söhne? Welch ein Glück du doch hast.«
»Ja, wir sind wahrlich gesegnet. Und bei allen Göttern, das Reich brauch dringend starke, gesunde Söhne bei all diesen Konflikten, die momentan entbrennen.«
»Wirst du sie zur Militärakademie schicken?«
»Ja, ja natürlich. Die Plätze sind bereits reserviert, dafür habe ich höchstpersönlich gesorgt. Ihre Ausbildung habe ich auch schon komplett durchgeplant. Mit fünf werden sie lernen zu reiten. Mit sieben gehe ich mit ihnen marschieren. Im Regen, im Schnee, im Gebirge, im Dschungel, bei Hitze und Kälte. Danach wochenlanges Kampieren in der Wildnis, da bringe ich ihnen ein strenges Überlebenstraining bei. Mit acht schule ich sie im Umgang mit Waffen und mit zehn kommen sie auf die Akademie.«
Dinesh pfiff erstaunt.
»Welch ein Programm. Aus ihnen werden sicherlich gute Soldaten werden.«
»Na, das will ich doch mal hoffen. Als Kind hat mich mein Vater auch so geschliffen. Und sieh, was aus mir geworden ist! Ein Prachtexemplar unserer stolzen Rasse!«
»Wahrlich«, entgegnete Dinesh angemessen. Er streckte seinen Arm aus und zeigte auf die zwei Ledersessel. »Wollen wir uns setzen und eventuell etwas gönnen?«
Die Augen Batus blitzen vor freudiger Erwartung auf.
»Ich dachte schon, du fragst nie und wir müssen den ganzen Abend nüchtern herumstehen.«
»Sehr schön!«, er schaute zu Bulelani, »Bring uns doch bitte zwei Pfeifen und die Kräuter natürlich! … Möchtest du den regionalen Wein probieren, Batu? Ich verspreche dir, er ist exquisit«, schwärmte Dinesh.
»Ich sag dazu nicht nein!«
»Gut, also: zwei Pfeifen, die Kräutermischung, zwei Gläser und den Wein. Holst du das, bitte?«
Bulelani verneigte sich: »Wie Ihr wünscht, Dinesh Khan«, und ging an Batu vorbei. Der verzog angewidert das Gesicht.
»Das wollt ich dich schon die ganze Zeit fragen … Seit wann hältst du dir Wilde im Haus?«
»Oh, Bulelani habe ich vor zwei Jahren erstanden. Mach dir keine Sorgen, er wurde bereits von Kindesbeinen in der Kunst der Dienerschaft erzogen. Er hatte gar keinen nennenswerten Kontakt zu seiner Rasse.«
Batu schüttelte den Kopf. »Sie tragen unsere Kleidung, sprechen unsere Sprache … Als Nächstes verlangen sie, dass wir sie wie unsereins behandeln«, knurrte er.
»Wenn man den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft trauen mag«, erklärte Dinesh, »dann gibt es zwischen unseren Rassen biologische Gemeinsamkeiten, wahrscheinlich sogar eine gemeinsame Abstammung.«
»Ach, ich schmeiß mich gleich von der Klippe«, seufzte Batu theatralisch und hielt sich den Handrücken an die Stirn.
Dinesh lachte: »Es gibt zwar Hinweise auf geringe biologische Verwandtschaften zu uns, jedoch würde ich davon abraten, zu behaupten, dass wir einander gleich wären.«
»Gut, gut. Ich mein, sieh sie dir doch an. Ihre Schädel sind so … winzig. Wie soll da ein voll funktionsfähiges Gehirn Platz finden? Ihre Körper sind schmächtig; so klein, so dünn … Ein Wunder, dass sie noch nicht ausgestorben sind.«
»Angeblich sollen sie über eine sehr reiche Kultur verfügen …«
»Kultur! Diese Primitivlinge können Kultur doch nicht einmal erkennen, wenn man sie ihnen ins Gesicht schmeißen würde! Ich bin mir sicher, diese Barbaren scheißen überall hin und fressen ihren eigenen Nachwuchs, wenn das Essen knapp ist. Bestimmt pinkelt dein Butler die Wände voll, wenn du nicht hinsiehst.«
»Ich kann dir versichern, dass er dies nicht tut. Ansonsten hätte ich ihn schon längst auspeitschen lassen.«
»Gut so. Du musst den Wilden immer zeigen, wer der Herr im Haus ist, sonst tanzen sie dir auf der Nase herum.«
»Aber Batu, lass uns nicht streiten. Komm, genießen wir den Abend«, Dinesh setzte sich in den Ledersessel, während sein Freund sich hineinfallen ließ.
Kurze Zeit später erscheint auch Bulelani und platziert ein silbernes Tablett mit zwei Pfeifen, einer Kräuterbox, zwei kristallklaren Gläsern und einer dunklen Flasche Wein auf den Tisch. Batu warf dem Diener einen skeptischen Blick entgegen, doch seine Augen richteten sich danach sofort auf die vor ihm gestellten Köstlichkeiten.
»Dinesh, das sieht fabelhaft aus!«
»Ja, aber eine Kleinigkeit fehlt noch … Bulelani!« Der Diener kam sofort zurück, wieder verneigte er sich.
»Sie haben gerufen, Dinesh Khan?«
»Bring uns bitte noch meine Streichhölzer … und meinen Aschenbecher, den aus Marmor, bitte.«
»Wie Ihr wünscht, Dinesh Khan«, der Gepard verschwand in den Gängen der Villa. In nur wenigen Augenblicken hatte er die gewünschten Gegenstände zusammen getragen und brachte sie seinem Herrn zurück. Bulelani platzierte den weißen Aschenbecher, ein wertvolles Erbstück der Familie von Dinesh, und die Packung Streichhölzer. Er verbeugte sich wieder und, nachdem er die Türen des Wohnzimmers schloss, verschwand er.
Batu nahm den Aschenbecher in die Hand und studierte ihn genau.
»Welch prächtige Meisterarbeit. Ich liebe die reichen Verzierungen, diese kunstvoll verzierten Muster. Sag, woher hast du das?«
»Die Patriarchen meiner Familie überreichen dieses Stück seit Generationen von Erbe zu Erbe. Mein Ur-Ur-Ur-Urgroßvater soll es erhalten haben, als er vom Khagan zum Khan erhoben wurde.«
»Ach, ist das so? Wusste gar nicht, dass deine Familie in den Stand erhoben wurde«, Batu schaute seinen Freund leicht skeptisch an.
Dinesh wischte die unterschwellige Anschuldigung mit einer Handbewegung weg. »Und wenn schon. Meine Familie hat es sich den Titel ›Khan‹ mehr als nur verdient. Mein Vorfahre war ein treuer Diener der Svargeeydoot.«
»Das bestreitet auch keiner. Ich wollte dir jetzt nicht deinen Titel absprechen. Aber nur damit du es weißt: Meine Familienlinie geht auf die Gründung unseres Reiches zurück. Damals als der erste Khagan unser nomadisches Volk zu einem mächtigen Imperium vereinigte. Meine Familie gehörte zu den zwanzig Stämmen, die die Grundlage unseres heutigen Weltreiches bildeten. Das Oberhaupt, mein Vorfahre, war einer der ersten Khans«, Batu streckte die Brust raus, seine Stimme schwoll vor Stolz fast über.
»Wirklich? Soweit ich mich erinnern konnte, gab es damals noch gar keinen Khagan, geschweige denn Khans. Diese Titel waren eine viel spätere Erfindung. Die Stammesältesten wurden ›Pita Kee‹ genannt – Väter. Und der Titel des Vorläufers des Khagan lautete ›Pita ke Pita‹ – Vater der Väter«, erwiderte Dinesh.
»Details. Sie hatten andere Namen, aber prinzipiell gingen sie auf das Gleiche hinaus«, Batu schob seine mächtige Lippe vor und tat so, als würde er schmollen. Bei dem Anblick musste sein Freund laut auflachen.
»Jetzt guck doch nicht so!«, rief er mit Tränen in den Augen.
»Können wir jetzt einfach … genießen? Statt weiter auf meine Ehre, herum zu trampeln?«, Batu verschränkte die Arme vor der Brust und bockte wie ein kleiner, unerzogener Welpe, der seine Rehkeule nicht bekam. Dinesh musste daraufhin noch viel mehr lachen, sein Bauch begann weh zu tun.
»Okay, okay. Lass uns die Pfeifen vorbereiten«, das Lachen verebbte langsam. Dinesh griff nach den Streichhölzern, zuerst zündete er die gelben Kerzen in ihren goldenen Behältnissen an. Das Tageslicht wurde schließlich von Minute zu Minute weniger. Sobald die kleinen Flammen brannten, zuckten die Nase und die Schnurrhaare von Batu. Er zog die Luft mit geschlossen Augen tief ein.
»Welch ein famoser Geruch. Was ist das? Ich kenne das gar nicht«, fragte er.
»Bienenwachskerzen. Eine Spezialität dieser Region. Die Bienen sind hier nur für eine sehr kurze Zeit aktiv, deswegen ist der Honig besonders wertvoll. Ich kenne mich mit der Imkerei nicht aus, aber man hat mir erklärt, dass die speziellen Blumen, die hier wachsen, für den einzigartigen Geschmack und Geruch sorgen. Ein Glas Honig kostet ein Vermögen, geschweige denn ein paar Kerzen.«
Dinesh öffnete die Weinflasche und goss in jedes Glas ein Schluck hinein. Batu nahm es in die Hand und schwankte die rot-lila Flüssigkeit hin und her. Er schnupperte daran und nahm dann eine kleine Menge in den Mund, die er lange mit der Zunge befühlte. Nach einigen Überlegungen schluckte er den Wein endlich hinunter.
»Und?«, fragte Dinesh erwartungsvoll.
Batu betrachtete sein Glas, wie ein Kenner sagte er: »Nicht schlecht, nicht schlecht. Ich muss schon sagen, der gefällt mir. Hat auf jeden Fall mehr Geschmack als der aus der Heimat. Der ist immer so verdammt trocken. Aber der hier ist angenehm fruchtig-süß, ohne das es penetrant wirkt. Sag, woher hast du den?«
»Auch eine koloniale Spezialität.«
»Sag bloß. Und woher kommen die Weintrauben? Die klimatischen Bedingungen scheinen hier nicht wirklich angemessen für den Weinbau zu sein. Werden die Früchte importiert?«
»Ganz und gar nicht! Sie werden hier angebaut. Weiter südlich gibt es riesige Gewächshäuser, wahrlich Paläste aus Glas. Dort wachsen allerhand exotische Früchte. Weintrauben, Melonen, Ananas, Mangos, Orangen, Zitronen, Limetten. Jede erdenkliche Südfrucht«, erklärte Dinesh mit strahlenden Augen.
»Nun gut, genug mit der Kolonialkunde«, Batu zeigte auf die Kräuterbox, »lass mich raten: auch von hier?« Dinesh öffnete die kleine Schachtel, zu sehen waren lauter brauner und roter Krümel.
»Eine spezielle Kräuter-Tabakmischung. Die Örtlichen nennen es ›Nebesnaya Trava‹ – Himmelskraut.«
»Sehr hochtrabend.«
»Probiere es. Ich verspreche dir, es wird dich auf eine andere Ebene bringen.«
Dinesh und Batu stopften sich ihre Pfeifen jeweils mit dem Himmelskraut voll. Dinesh hatte sie von seinem Vater beim Eintritt in den Militärdienst als Geschenk bekommen. Sie waren kunstvoll gefertigt, handgeschnitzt von seinem alten Herrn höchstpersönlich. Ein kleines aber feines Hobby, das er sich über die Jahre angeeignet hatte, als er selbst seinen Kriegsdienst ableistete. Die Pfeifenköpfe waren in der Form von brüllenden Tigerschädeln. Martialisch, blutdürstig, anmutig, brutal. Das waren die grundlegenden Wesenszüge seiner Rasse, vereint in diesem kleinen Kunstwerk. Gab es einen größeren Beweis für die körperliche wie auch geistige Überlegenheit der Tiger gegenüber allen anderen Völkern?
Dinesh nahm sich ein Streichholz und entzündete es, die gelborange Flamme spiegelte sich in seinen bernsteinfarbenen Augen. Er hielt das Feuer an die Pfeife und begann die Luft einzuziehen, zu paffen. Rauchwolken kamen stoßweise aus seinem mit scharfen Reißzähnen bestückten Mund. Bald schon brannte das trockene Kraut und er konnte in Ruhe genüsslich rauchen. Er schloss die Augen und entspannte, er spürte alsbald die Wirkung des Tabaks. Seine Muskeln entspannten sich, innerer Frieden kehrte in ihn ein.
Batu tat es ihm gleich, doch er hatte ein paar Startschwierigkeiten. Anscheinend war er im Umgang mit Pfeifen nicht sehr geübt. Er zog die kleine Streichholzflamme immer und immer wieder in den Tabak, doch er wollte partout nicht brennen.
»Entspann dich, du musst das ruhig angehen«, erklärte Dinesh.
»Ich krieg das schon hin!« Nach ein paar Versuchen hatte Batu es auch endlich geschafft. Er lehnte sich entspannt in den Sessel zurück und atmete den süßen Rauch der Pfeife ein. Es kratzte ein wenig im Mundraum und Hals, aber das war nicht weiter schlimm. Die beruhigende Wirkung drang langsam in seine Zellen ein, seine Sorgen zerfielen zu Staub.
»Und?«, fragte Dinesh gespannt.
»Ja, ist gutes Zeug«, Batus Stimme war sanft wie Seide. »Sag mal, wie geht es eigentlich dem alten Gouverneur … Wie war doch gleich sein Name? Ach ja, Noyan Khan.«
»Er ist immer noch alt und noch immer Gouverneur«, Dinesh lachte herzhaft.
»Wie alt ist er? Er müsste doch auch schon auf die siebzig zugehen …«
»Dreiundsiebzig, um genau zu sein. Er ist alt aber sehr weise. Während meiner Dienstzeit ist er wie ein Vater für mich gewesen. Wir gehen auch oft gerne gemeinsam jagen.«
»Und? Wirst du später seinen Platz einnehmen? Zum Gouverneur aufsteigen?«
»Ich?«, Dinesh schaute Batu verblüfft an. »Glaube eher nicht. Solche Ambitionen habe ich nicht. Ich bin mit meiner Position völlig zufrieden«, er zeigte mit seiner Hand auf das Wohnzimmer. »Ich mein, schau dir das doch nur mal alles an. Ich habe alles erreicht, was ich je erreichen wollte. Ich habe alles, was ich haben wollte. Ich ertrinke fast im Reichtum.«
Batu nahm einen großen Schluck Wein. »Und du willst ›Oberer Kolonialoffizier‹ bleiben? Hier? An diesem Ort?«
»Wieso? Was ist damit?«, fragte Dinesh.
»Es ist kalt. Trostlos. Die meiste Zeit über herrscht hier ein bitterer Winter. Vermisst du nicht das Mutterland?«
»Ich konnte noch nie etwas mit dieser schwülen Hitze anfangen. Im dichten Dschungel fühlte ich mich immer so eingeengt. Hier ist es schön, hier ist es ruhig. Mir gefallen die Leute, das Essen, der Wein«, er hielt sein Glas hoch.
Batu nahm einen Zug von seiner Pfeife, er blies den weißen Rauch hinaus. Langsam hatte er den Dreh raus.
»Du warst schon immer mit so wenig zufrieden gewesen. Immer so … bescheiden. Kein Mann der Tat, immer nur eine helfende Hand. Du willst weder dieses Drecksloch verlassen, noch willst du es regieren.«
»Was willst du damit sagen?«, Dinesh Augen fokussierten Batu.
»Ich will sagen, dass du weich bist. Du sitzt hier in deiner Villa am Arsch der Welt, frisst dich satt und fett, hältst dir Wilde im Haus, hast keinerlei Machtansprüche. Du setzt nicht mal Kinder in die Welt. Eigentlich tust du nichts Produktives außer Bleistifte hin und her zu schieben.«
»Ach? Aber du bist ein Mann der Tat? Soweit ich gehört habe, bist du ein Dozent an einer Akademie. Die einzigen Schlachten, die du noch führst, sind die gegen rotzfrechen Kadetten.«
Batu lehnte sich im Sessel zurück, er nahm noch einen Schluck Wein.
»Sobald die Welpen zur Akademie aufbrechen«, begann er zu erklären, »werde ich mich wieder meiner militärischen Karriere widmen.«
»Ach echt? Wohin zieht es dich denn?«, fragte Dinesh.
»Mal schauen. Es gibt genügend Konflikte an den Außengrenzen des Reiches. Die Schakale und die verdammten Hyänen schmieden Bündnisse gegen uns. Erst letzte Woche gab es wieder Anschläge auf die Botschaft in Graanskuur. Die Einheimischen sind über unsere Anwesenheit anscheinend nicht zufrieden. Sie wehren sich gegen die Kolonisationsbestrebungen des Reiches. Narren … Selbst diesen Barbaren sollte es klar sein, wer über ihnen steht. Allen Wilden geht es doch besser innerhalb unserer Kolonien … Wie dem auch sei, ich werde an die Außengrenzen reisen und dort unser Reich vor diesen Horden beschützen. Und nebenbei helfe ich bei der Expansion eben jener Grenzen. Vielleicht steige ich ja noch zum General auf«, Batu kicherte in sich hinein.
»Eine sehr noble Tätigkeit. Ich bewundere deinen Mut und deinen Tatendrang. Ja, die Situation an der äußeren Peripherie unseres Reiches ist besorgniserregend. Die Wilden werden unruhig, der Gedanke der ›Dekolonisierung‹ spukt durch die Köpfe dieser armen Geschöpfe.« Batu verzog angewidert das Gesicht.
»Weißt du, woran mich das erinnert?«, fragte Dinesh.
»Woran?«
»An den ›21-Tage-Krieg‹ … von vor zehn Jahren.«
»Ja, da saßen damals dieselben beschissenen Ideen in den Köpfen fest. ›Dekolonisierung‹, ›Demokratie‹, ›Gleichheit zwischen den Rassen‹ und der ganze Dreck. Das war in ›Khilatee Huee Aankh‹. Da begann dieses Krebsgeschwür zu wuchern.«
»Ja, die separatistische Kolonie.«
»Welchen Rang bekleidetest du damals?«
Dinesh überlegte, seine Augen fixierten einen imaginären Punkt an der Decke. »Wenn ich mich richtig erinnere, war ich Adjutant von General Aditya Svargeeydoot. Die meiste Zeit waren wir in der Kommandozentrale, wo sich die ›Obere Krisenleitung‹ befand. Den ganzen Tag über Karten gebeugt, starrten wir auf kleine Schachfiguren, die wir hin und her schoben. Truppenkoordination, Versorgungspläne, Nachschubrouten, Spionagenetzwerke … all die administrativen Tätigkeiten, die der gewöhnliche Bürger im Krieg gar nicht mitbekommt, geschweige denn daran denkt, dass sie existieren und notwendig sind.«
»Verstehe«, in Batus Stimme schwang eine gewisse Abneigung mit.
»Und du?«
Batu zog nochmal an seiner Pfeife und genehmigte sich einen weiteren Schluck Wein. Als er sah, dass sein Glas leer war, füllte er es mit der kostbaren Flüssigkeit wieder auf. Er überlegte einen Moment, dann sprach er: »Ich war Kommandant einer Panzereinheit. Nummer dreizehn müsste es gewesen sein. Dritte Armee.«
»Wie immer direkt an der Front.«
»Selbstverständlich, das liegt halt in meiner Natur. Ich kann mich nicht in irgendein Büro zurückziehen, über Karten brüten und mit dem Generalstab Kaffee trinken, wenn draußen ein blutiger Krieg tobt. Besonders dann, wenn es einer ist, der die Stabilität und die Integrität unseres Reiches maßgeblich verletzt.«
Dinesh verschränkte die Arme. »Ich verstehe deinen kleinen Seitenhieb. Aber in einem ›Büro zu sitzen und über Karten zu brüten‹ gehört zum Krieg dazu. Ohne unsere Planung würdet ihr es keine zwei Tage an der Front aushalten, weil euch Proviant und Munition ausgehen. Strategie, Taktik und Versorgung sind wichtige Bestandteile eines jeden Krieges. Du als Militärdozent solltest das eigentlich wissen.«
Batu mied den durchdringenden Blick von Dinesh.
»Ich weiß das«, sein Griff um den Stiel des Weinglases wurde fester, »erzähl mir nicht, wie ich meinen Job zu machen habe. Ich habe die nötige Kriegserfahrung, ich war dabei. Ich bin mehr ein Experte als jemand, der den ganzen Konflikt über in einem beheizten Zimmer saß.«
»Ich wollte dich nicht beleidigen …«
»Schon gut …«, Batu fletschte die Zähne und versuchte, krampfhaft ein Lächeln auf sein Gesicht zu zeigen, das Ergebnis war jedoch nur grotesk und glich mehr der Fratze eines wilden Tieres.
»Wie war eigentlich der Krieg aus deiner Sicht? Wir haben, glaube ich, nie wirklich darüber gesprochen«, fragte Dinesh.
Batus Verspannungen schienen sich ein wenig zu lockern, die Fratze wurde zu einem wirklichen Lächeln.
»Gab bessere Konflikte. Der Krieg damals gegen diese verdammten Pumas, als ich noch ein einfacher Soldat war, war ein richtiger Krieg. Gegen einen ebenbürtigen Gegner. Dieser hier war … erbärmlich. Ein Haufen verdreckter Pazifisten, verweichlichter Barbarenkuschler, Naturliebhaber, Demokraten und ein paar Wilde. Mehr war das doch nicht. Bauern und Studenten mit Gewehren. Was konnten die schon gegen unsere Panzer und Repetiergewehre ausrichten? Es grenzt an ein Wunder, dass sie ganze einundzwanzig Tage ausgehalten haben.«
»Ja, das stimmt. Ich persönlich sehe diesen Krieg immer ein wenig tragisch«, erklärte Dinesh. »Wieso?«
»So viele von unserem Volk sind damals gestorben …«
»Bah!«, unterbrach ihn Batu. »Vergieß doch keine Tränen wegen denen. Das waren Rassenverräter, Rassenschänder! Die hatten den Tod verdient! Sie haben unser stolzes Blut befleckt. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Interrassische Beziehungen … dieser Abschaum hat es mit Wilden getrieben! Mit diesen schwächlichen Leoparden!«
»Ach ja?«, Dinesh beugte sich vor, sein Interesse war geweckt worden.
»Ja! Ich persönlich habe einen aus seinem mit Flöhen verseuchten Bett gezogen. Er hatte Geschlechtsverkehr mit einer Leopardin. Du hättest dieses dreckige Miststück sehen sollen … Ekelhafte Kreatur.«
»Und was ist dann passiert?«
»Was soll passiert sein?«
»Was hast du mit dem ›Rasseschänder‹ gemacht?«
Batu beugte sich ebenfalls vor und sah Dinesh tief in die Augen. »Das einzig Vernünftige. Dem Verräter habe ich eine Kugel in den Kopf verpasst. Zwischen die Augen, direkt im Schlafzimmer, oder wie auch immer die das nannten, vor den Augen seiner ›Liebhaberin‹. Die ist ihm auch gleich gefolgt.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass es solche Befehle gab. Die Anweisung lautete, Separatistennester auszuräuchern und nicht Rassengesetze durchzusetzen.«
Batu nahm einen großen Schluck Wein und zog an der Pfeife. »Die beiden Sachen gehen Hand in Hand. Die Separatisten wollten doch Liebe zu den Wilden, das war einer ihrer Punkte. Außerdem muss man manchmal Befehle in seine eigene Hand nehmen. Ich tat nur das Richtige.«
»Normalerweise kümmern sich Gerichte um solche Tatbestände …«, erwiderte Dinesh.
»Im Krieg gibt es nur das Standgericht. Und in diesem Moment war ich halt Ankläger, Richter und Henker.«
»Ich kann mich auch nicht erinnern, dass die OKL solche Meldungen von Exekutionen erhalten hat.«
»Solche Sachen wurden stillschweigend akzeptiert.«
Dinesh schüttelte den Kopf. »Ich habe immer nur Gerüchte gehört. Hätte nie gedacht, dass das wirklich passierte …«
»Wärst du an der Front gewesen, hättest du es gewusst«, Batu füllte sein Glas erneut mit Alkohol.
»Wie viele von diesen ›Exekutionen‹ hast du durchgeführt?«
»Keine Ahnung. Hab irgendwann aufgehört zu zählen. Ein paar dutzend?«
Dinesh fasste sich an die Stirn, seine Finger zitterten leicht. Er hatte einen üblen Verdacht.
»Gab es … Gab es sonst noch irgendwelche Ausschweifungen?«
»Wie meinst du das?«
»Was hast du … Was hat deine Einheit noch getan?«
»Warum fragts du?«
»Interesse.«
»Wenn du es unbedingt wissen willst, wir kamen irgendwann in einem Dorf an«, Batus Stimme lallte leicht, »dort hatten sich zwanzig Separatisten verschanzt. Sie hatten Gewehre, Sprengstoff. Alles erbeutet, gestohlen. Es war ein kleines Dorf, vielleicht hundert Seelen. Größtenteils Frauen.«
»Okay, und was habt ihr gemacht?«
»Die Dorfbewohner wollten die Verräter nicht freiwillig rausgeben. Wir gaben ihnen ein Ultimatum. Es lief ab. Wir betraten das Dorf. Zuerst töteten wir die Aufständischen. War recht leicht. Sobald sie unsere Panzer sahen, schmissen sie ihre Gewehre weg und wir zerschossen sie zu blutigen Staub. Dann gingen wir von Haus zu Haus, nahmen jeden Mann über zehn Jahre fest und brachten sie zur Dorfmitte. Alles Tiger, alles Verräter. Ich konnte es kaum glauben, wie kann man nur seine eigene Rasse so derart hintergehen? Wir brachten sie in die Mitte, zwangen sie auf den Boden und dann … dann schossen wir. Wir haben sie alle erschossen. Einen nach dem anderen. Zwei Kugeln für jeden.«
Der Raum wurde immer dunkler, die Kerzen waren heruntergebrannt, im Kamin glimmerte hellrote Glut. Dinesh konnte nur die smaragdgrünen Augen von Batu im Dunkeln leuchten sehen.
»Was habt ihr mit den Frauen gemacht?«, seine Stimme zitterte leicht. Hoffentlich bemerkte es sein Gegenüber nicht.
»Meine Männer waren müde und erschöpft. Ich habe ihnen eine kleine Auszeit gegönnt.«
»Und du? Hast du das auch getan?«
»Ja«, Batus Stimme war kalt wie die Luft draußen.
»Wie alt waren sie?«
»Spielte keine Rolle. Alte, Erwachsene, Kinder. Ich habe da keinen großen Unterschied gemacht.«
Dinesh fletschte die Zähne, seine Hände krallten sich in die Sessellehnen rein.
»Und was habt ihr danach gemacht?«
»Wir brannten das Dorf nieder. Und zogen weiter. Doch dann passierte etwas Seltsames.«
»Was denn?«
»Wir erhielten unsere Marschbefehle, doch wir gerieten in einen Hinterhalt. Das war furchtbar. Ich habe so viele tapfere Männer verloren.«
»Nicht annähernd genug«, knurrte Dinesh.
»Was?«
»Ich sagte: Es sind nicht annähernd genug gestorben!«, Dinesh schrie fast.
Batu erhob sich aus dem Sessel, er schaute seinem Freund tief in die Augen; seine brannten vor Zorn.
»Was willst du mir damit sagen?«
Dinesh erhob sich ebenfalls, nun waren beide auf Augenhöhe.
»An diesen Tag, den Tag, an dem dein kleiner Trupp in diesen Hinterhalt geraten war, sind nicht genügend Bastarde gestorben!«
Batus Augen verengten sich zu Schlitzen, seine Stimme war nur noch ein tiefes Knurren.
»Ist die Sache etwa auf deinen Mist gewachsen?«, beschuldigte er Dinesh und zeigte mit dem Finger auf ihm.
»Indirekt«, begann Dinesh zu erklären, »damals wusste ich nicht, dass es sich um deinen Trupp handelte.« Er schüttelte den Kopf. »Wir hörten Gerüchte, dass eine der Einheiten auf einer Mördertour unterwegs war. Die Exzesse waren selbst für unsere Verhältnisse zu blutig. Der General fürchtete ein Verlust des Ansehens. Er sah die förmliche physische Vernichtung unserer Rassenmitglieder, auch wenn sie uns verraten haben, als sehr kritisch an. Es musste aufhören, doch wir wussten nicht, welche Einheit dafür verantwortlich war. Krieg ist unübersichtlich. Irgendwann kam dann ein Unteroffizier zu mir und erklärte, dass er die Einheit gefunden hätte. Sie wartete auf Marschbefehle.«
Batus Pupillen waren in seinen großen Augen kaum noch zu sehen. Sein Mund war zu einer Fratze des Zorns entstellt.
»Und du hast natürlich …«
»Ich gab euch die Marschbefehle. Ich wusste, dass dort Feinde waren.«
»War das eine geplante Aktion mit der OKL?«
»Nein … Es war meine alleinige Idee.«
Batu wandte sich wutentbrannt ab. Wie ein gefangenes Tier im Käfig ging er auf und ab.
»Du hast mich verraten …«, murmelte er immer wieder.
»Ich wusste nicht, dass das deine Einheit war.«
»Was ändert das? Ich hätte sterben können!«
»Vielleicht wäre es so besser gewesen!«, rief Dinesh voller Wut.
Batu ging auf seinen Freund zu. Dinesh konnte die ekelhafte Alkohol-Tabak-Mischung, die aus seinem Maul strömte, riechen.
»So denkst du also über mich?«, Batu spuckte jedes Wort einzeln aus.
»Nach deinen eigenen Berichten bist du nichts weiter als ein Monster! Du hast Schande über unsere Rasse gebracht!«
»Schande? Ich? Ich habe meine Pflicht getan!«, schrie Batu zurück.
»Du hast dein eigenes Volk massakriert und geschändet!«
»Sie hatten es verdient! Du warst nicht dabei! Du hast in deinem Büro gesessen und Schachfiguren durch die Gegend geschoben, während meine Einheit von Aufständischen angegriffen wurde! Diese Verräter haben Gesetze gebrochen und ich habe sie dafür bestraft!«
»Du hattest keine Berechtigungen dafür!«
»Scheiß auf die Berechtigungen! Was hätte ich denn tun sollen? Dieses Krebsgeschwür wuchern lassen? Ich habe verhindert, dass sich diese Seuche weiter ausbreitet. Eigentlich habe ich eine Auszeichnung dafür verdient.«
»Das Einzige, was du verdient hast, ist der Tod durch ein Erschießungskommando!«
»Sagt der Verräter! Dich sollte man hinrichten!«
Dinesh nahm sein Weinglas und schmiss es Batu vor die Füße.
»Warum übernimmst du das dann nicht? Du bist schließlich Ankläger, Richter und Henker!«
Das Licht war aus, die Kerzen waren heruntergebrannt und der Kamin erloschen. Die beiden Tiger waren nur noch Schemen in der Dunkelheit. Batu konnte seinen Zorn nicht mehr halten, mit einem Mal sprang er auf Dinesh zu und rang ihn zu Boden. Die beiden wälzten sich hin und her, schlugen sich mit ihren Fäusten ins Gesicht. Blut floss, Zähne zerbrachen. Die Behörden waren später völlig überfragt, was in dieser Nacht passiert war. Eine Rekonstruktion schien nicht mehr möglich. Sie fanden einen Tatort vor, der aussah, als wäre ein Tornado durchgefegt.
Die beiden Männer kämpften miteinander, schlugen und würgten sich, versuchten, sich gegenseitig umzubringen. Krallen und Zähne wurden benutzt. Einer von ihnen, nur die Götter wissen wer, nahm den wertvollen Aschenbecher aus Marmor und schlug damit immer und immer wieder auf das Gesicht seines Kontrahenten ein. Solange bis der Gegner sich nicht mehr rührte, bis der Schädel nur noch ein Brei aus Gehirnteilen, Knochen und Blut war. Die ausgestopften Trophäen blickten wie stumme Zeugen auf das Schauspiel hinab.
Als der Mörder sah, was er getan hatte, ließ er den Aschenbecher fallen, der beim Aufprall auf dem Boden in zwei Hälften zerbrach. Panisch sah er sich um, realisierte seinen schrecklichen Fehler.
Er rannte aus dem Wohnzimmer, verließ die dunkle Villa und verschwand in der eisigen Nacht.