Rhythmisches Klopfen, damit fing das ganze Theater damals an. Ich eilte zur Haustür, ich war völlig in meiner Arbeit versunken und merkte gar nicht, dass da wer so unbedingt mit mir sprechen wollte. Als ich die Tür öffnete, fragte ich mich in Gedanken, wer es denn sein könnte. Eigentlich erwartete ich niemanden für heute. Mein Bruder wollte erst nächste Woche aufkreuzen. Vielleicht ein Nachbar? Hatte ich wieder irgendetwas ausgeliehen und vergessen, zurückzubringen? Manchmal lieh ich mir Werkzeug, benutzte es und verstaute es dann im Keller, wo es dann einsam und allein auf die Rückkehr seines rechtmäßigen Besitzers wartete, der nach etwa zwei Monaten auf der Matte stand und höflich fragte, ob er denn seinen Akkuschrauber zurückbekommen könnte. Immer sehr unangenehm, aber bisher war niemand wütend gewesen. Die meisten kannten meine Schusseligkeit und rollten nur mit den Augen. Ich entschuldigte mich in der Regel mit einem Korb frischgebackenen Brotes.
Als ich die Tür öffnete, blickte ich in ein mir unbekanntes Gesicht. Blassblaue Augen, blasse Haut, schmales, beinahe abgemagertes Gesicht, brünette Angestelltenfrisur. Groß, sehr groß sogar … und dünn. Der Fremde war in einem teuren schwarzen Anzug gekleidet, weißes Hemd und schwarze Krawatte. Am Kragen war ein Kronenanstecker befestigt worden. Der Typ strahlte mich mit einem dämlichen Grinsen an, eins wo man die obere Zahnreihe sehen konnte. Die Zähne waren makellos, hellweiß, gerade. Entweder er trug als Kind eine Spange, hatte unglaublich viel Glück oder hatte sich was machen lassen. Wenn ich raten müsste, würde ich auf künstliches Gebiss tippen.
»Guten Tag, mein Herr«, begann er mit melodischer Stimme. »Max Schmidt von der Black Crown Corporation.«
Gute Güte, ein Vertreter. Na, das hat mir noch gefehlt.
»Hab nichts bestellt.«
»Deswegen bin ich nicht hier.«
»Hab auch kein Interesse an irgendwelche Handyverträge oder diesen Glasfaser-Scheiß. Ist sowieso alles nur Betrug.«
»Deswegen bin ich nicht hier.«
»Will auch keine Münzen oder irgendwelche Abonnements oder Zeitungen oder …«
»Deswegen bin ich nicht hier.«
Langsam wurde es sehr albern. »Weswegen denn dann?«
»Darf ich eintreten?«
»Nein?«
Ein kurzes Zucken durchlief sein ansonsten starres Lächeln. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
»Das ist schon in Ordnung. Werter Herr Kurtz, die BCC möchte Ihnen ein Angebot machen. Deswegen … hören Sie mir einen Moment zu. Ich verspreche Ihnen, Sie werden es nicht bereuen.«
Ich musste zugeben, ich war neugierig. Ich hatte auch noch nie von der Black Crown Corporation gehört. War wahrscheinlich eins dieser neuen ausländischen Unternehmen, die nach der Krise in das Land einfielen und anfingen, sich hier auszubreiten. In letzter Zeit las man immer wieder davon in den Wirtschaftblogs. Unvorstellbar große, globale Konzerne, die die bankrotten kleinen und mittelständischen Firmen zu Spottpreisen aufkauften. Warum sollte sich solch ein Gigant in diese, doch eher öde und wirtschaftlich uninteressante, Gegend verirren? Und das auch noch freiwillig?
»Schießen Sie los!«
»Ausgezeichnet.« Sein Grinsen wurde breiter, nun sah ich auch die untere Zahnreihe, ebenfalls makellos und perfekt. Wenn auch das Zahnfleisch einen durchaus grau-roten Eindruck machte.
»Die BCC hat ein wirtschaftliches Interesse an diese Gegend. Sie müssen wissen, Herr Kurtz, dass stetige Expansion die Antriebsfeder unseres Unternehmens ist. Die Zeiten werden rauer, unsicherer – deshalb haben wir entschieden, in neue Gebiete zu expandieren. Wir möchten neues Terrain erkunden, unsere Fühler ausstrecken, wenn Sie verstehen, was ich meine, Herr Kurtz.«
»Denke schon … aber was genau hat das mit mir zu tun?«
»Herr Kurtz, wir sind an Ihrem Haus interessiert.« Die s-Laute kamen zischend aus seinem Mund. Das dämliche Grinsen verschwand nicht für eine einzelne Sekunde.
Ich stutzte. »An meinem Haus? Wieso?«
»Die BCC arbeitet gerade an einem großen Projekt. Ich kann dazu leider nichts Genaueres sagen. NDA, Sie verstehen sicherlich. Aber das ist sowieso nicht von Interesse. Wir möchten gerne Ihr Haus erwerben. Wenn Sie wollen, könnte ich reinkommen und wir unterzeichnen gleich die …«
»Das Haus steht nicht zum Verkauf. Es befindet sich seit Generationen in meiner Familie. Mein Ururgroßvater hat es damals erbaut. Meine Mutter ist hier aufgewachsen, ebenso wie ich und mein Bruder. Das ist unsere Heimstätte, hier sind wir fest verwurzelt. Ich könnte es niemals verkaufen … besonders nicht an solche zwielichtigen Gestalten. Die Antwort ist also nein.«
Das Grinsen des Vertreters wurde breiter. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Der Typ gefiel mir überhaupt nicht. Er strahlte eine arrogante, überhebliche Aura aus.
»Die Zeiten ändern sich, Herr Kurtz. Und es ist ja auch nicht so, als würde die Black Crown Corporation Sie nicht angemessen kompensieren.« Er breitete die Hände mit den langen, dürren Fingern aus. Sie erinnerten mich an Äste an einem toten Baum. »Nicht nur bieten wir Ihnen eine vernünftige Summe für das Haus und das Grundstück, nein! Ihr Dorf wird zusätzlich in einer Eins-zu-eins-Kopie wiederaufgebaut werden! Sie werden keinen Unterschied merken, das versichern wir Ihnen!«
»Wollt ihr etwa das Dorf plattwalzen?«
»So kann man es auch ausdrücken, ja. Leider sind die Häuser für unser Vorhaben im Weg.«
»Dieses Dorf ist über viele Jahrhunderte organisch gewachsen. Man kann es nicht einfach den Erdboden gleichmachen und es an anderer Stelle wieder aufbauen und so tun, als wäre es immer noch dasselbe! Dabei geht die Seele des Ortes doch verloren!«
»Denken Sie darüber nach, Herr Kurtz. BCC wird Ihnen eine großzügige Entschädigung zahlen. Damit können Sie sicherlich mindestens drei solcher Häuser bauen.«
Langsam ging mir der Kerl auf die Nerven. Was bildete der sich ein? Ich hatte genug von ihm und seiner komischen Firma. Ich hatte genug von diesem bescheuerten Gespräch, das sich nur im Kreis drehte. Und immer nur dieses Grinsen, dieses verdammte Grinsen. Am liebsten hätte ich ihm gerne in seine arrogante Fresse geschlagen. Ich hatte vor einiger Zeit mal gelesen, dass man an den Augen erkennen kann, ob ein Lächeln echt ist. Diese Augen sagten nichts aus, sie waren matt und glanzlos, kalt und unbarmherzig. Der typische Blick eines Vertreters, der alten Damen überteuerte Handyverträge andreht … oder eines Psychopathen. Man verzeihe mir die Tautologie.
»Sind Sie sich sicher, Herr Kurtz?«, fragte er wieder. Eins musste man ihm lassen, er hatte Durchhaltevermögen. Andere seiner Art wären wahrscheinlich schon längst zum nächsten Opfer losgezogen.
»Weiß nicht, fragen Sie doch noch fünfmal, vielleicht ändere ich dann meine Meinung.«
»Ich habe verstanden.« Er verbeugte sich leicht, seine Augen ließen mich keine Sekunde lang aus dem Blick. »Ich werde Sie nicht mehr behelligen … vorerst.«
Das ließ mich aufhorchen. Oder hatte ich mich etwa verhört? »Was soll das heißen?«
»Einen schönen Tag noch, Herr Kurtz.«
Und damit verschwand er. Ich schloss die Haustür und beobachtete ihn durch das Fenster. Er begab sich zum nächsten Haus. Dort wohnte Luise, sie arbeitete in der örtlichen Bäckerei. Ein kleines, reizendes Etablissement, was leider nicht so viele Kunden sah. Aber so ging es mit nahezu allen Geschäften in unserem Dorf. Die meisten Leute fuhren doch lieber in die nächste Stadt und erledigten ihre Einkäufe in den großen Supermarktketten. Es war nicht unbedingt bequemer, besonders für die alten Herrschaften, aber definitiv billiger … selbst mit Lebensmittelinflation.
Mit Entsetzen musste ich mitansehen, wie der ominöse Vertreter in das Haus von Luise hereingelassen wurde. War sie anscheinend auf sein Geschwätz hereingefallen. Das war ihr Problem – sie war zu freundlich gegenüber Fremden. Sie versuchte es immer, allen recht zu machen und mit allen gut auszukommen. Aber da war sie leider nicht alleine.
Ich wandte mich ab und setzte mich an meinen Computer. Ein merkwürdiges Gefühl nagte in mir, wandte und drehte sich wie ein stachliger Wurm mit dem Namen ›Üble Vorahnung‹. Ich öffnete die Seekfuchs und gab Black Crown Corporation ein. Sofort spuckte die Suchmaschine ein paar Treffer aus, wenn auch enttäuschend wenige. Glücklicherweise befand sich darunter auch die Website dieser merkwürdigen Firma. Als ich den Link öffnete, strahlte ein blendendes Weiß über mein Gesicht, danach tauchten aus dem grellen Nichts dicke, schwarze Buchstaben auf: BLACK CROWN CORPORATION – FOR A BETTER TOMORROW. Darunter wesentlich kleiner: ein stolzer Partner des Carcosa-Instituts, der Ouroboros Real Estate Inc., der Republik Taured und des Königreichs Agartha. Die vier Dinge sagten mir nichts, auch Seekfuchs konnte nichts an die Oberfläche des Datenmeeres bringen. Das war sehr seltsam.
Nach ungefähr einer Minute verschwand der Text und eine schwarze Pyramide erschien. Mehr geschah nicht. Genau genommen geschah überhaupt nichts mehr. Der Computer hatte sich aufgehangen, das Bild war eingefroren. Egal, was ich tat, egal wie oft ich mit der Maus klickte, nichts wollte sich rühren.
»Scheiße, ein verkackter Virus?«, rief ich empört in den leeren Raum hinein.
Meine Empörung steigerte sich von Frustration zu Sorge und Panik, da auch ein Versuch, das Gerät auszuschalten, scheiterte. Selbst als ich das Kabel rauszog, blieb das Bild auf dem Schirm zu sehen. Es war, als hätte es sich eingebrannt. Die Pyramide schien mich förmlich anzustarren und zu verhöhnen. Ich wandte mich ab, schüttelte den Kopf und schelte mich selbst dafür, dass ich auf eine schäbige Website gegangen war. Der Computer war nicht billig gewesen und so schnell kam ich nicht an einen neuen heran. In mir lag noch die leise Hoffnung, dass das Bild wieder von allein verschwinden würde. Bis dahin legte ich provisorisch ein Handtuch über den Desktop, die Pyramide machte mich nervös. Und ich war mir nicht sicher, ob ich es mir nur einbildete oder ob ich wirklich ein tiefes Dröhnen vernahm.
Später, als ich im Bett lag und noch ein Buch las, ließ mich das Gefühl nicht los, dass ich nicht alleine zu Hause war. Als würde jemand hinter der Schlafzimmertür stehen und leise atmen. Horchen, ob ich schon schlief. Die Träume, die ich in der Nacht hatte, halfen dabei auch nicht. Vor mir erschien das Gesicht von Max Schmidt, es füllte meinen gesamten Blick aus. Ich konnte meine Augen nicht abwenden, nie hörte er auf zu grinsen, nie blinzelte. Er starrte mich an. Immer wieder schrak ich hoch, weil ich glaubte, dass jemand neben meinem Bett stand. Doch da war nichts. Nur Klamotten und Schränke.
Am nächsten Morgen, nachdem ich mich aus dem Bett gequält hatte, ging ich nach draußen, um ein wenig zu spazieren und frische Luft zu schnappen, den Kopf von den Nachtmahren freizubekommen. Die Pyramide war immer noch auf dem Bildschirm eingebrannt.
Kaum war ich aus dem Haus getreten, fielen mir die unzähligen weißen Lastwagen auf, die an beinahe jedem Haus standen. Auf den Laderäumen prangte der Schriftzug: Ouroboros Real Estate Inc. Und das Logo: eine Schlange, die sich selbst verzehrt. Die Fensterscheiben waren getönt. Kennzeichen hatten die Wagen auch keine. Genauso gut hätten es auch Fahrzeuge des Geheimdienstes oder der arabischen Mafia sein können.
Ich sah, wie Luise gerade Kartons in einen der LKWs brachte. Mit schnellen Schritt ging ich zu ihr hin und grüßte nett.
Sie lächelte mich an, stoppte aber nicht ihren Einpackprozess.
»Hey, was ist denn hier los?«, fragte ich.
Luise hielt kurz inne. »Ach, Kurtz! Hast du denn noch nicht gehört?«
»Was denn?«
»Ich habe mein Haus verkauft! Und so wie es aussieht, haben es mir viele gleichgetan. Kein Wunder, bei diesem Angebot!«
»Lass mich raten: Max Schmidt von der Black Crown Corporation?«
»Ja, genau der! Ein echter Gentleman. Anscheinend war er bei dir auch?«
»Das kann man so sagen …«
»Hast du auch dem Angebot zugestimmt?«
»Nein! Und ich kann nicht glauben, dass ihr anderen es gemacht habt! Die wollen unser Dorf plattmachen! Wie könnt ihr so etwas nur zu lassen?«
Sie stellten den Karton ab, den sie gerade aus dem Haus geholt hatte, und stemmte die Hände in die Hüfte. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, ihr Blick hatte etwas Verurteilendes. »Hör mal zu, Herr Schriftsteller. Wir können nicht alle vom Erbe des geliebten Großvaters leben wie du! Manche Leute brauchen tatsächlich Geld in dieser schwierigen Lage. Herr Schmidt und die BCC bieten fünf Millionen Euro für Haus und Grundstück. Wie kann man dazu nein sagen? Überleg dir mal, fünf Millionen! Davon kann ich mir ein neues Haus bauen! Aber hey – das brauch ich gar nicht. Wir bekommen neue Häuser geschenkt!«
»Merkst du nicht, dass da irgendwas richtig … shady ist? Wer hat überhaupt schon mal von dieser Black Crown Corporation gehört? Warum verschenken die einfach so viel Geld? Da gibt es doch irgendeinen Haken!«
»Einen geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul«, sagte sie nur schulterzuckend und machte weiter mit dem Einpacken. Damit war das Gespräch vorbei.
Ich ging meines Weges weiter. Überall standen diese weißen Lastwagen, überall packten Leute ihre Sachen. Dieser Max Schmidt war sehr fleißig gewesen. So wie es aussah, hatte er das gesamte Dorf überredet, alle einhundert Einwohner. Ausgenommen von mir. Ich nahm mir vor, zu bleiben. Koste es, was es wolle.
Selbst vor unserer schönen gotischen Kirche wuchs ein »Verkauft!«-Schild wie ein hässlicher Tumor aus dem grünen Boden. Priester Augustin schloss gerade großen Eichentüren ab. Mein Herz verkrampfte sich.
»Sag bitte nicht, du auch?«, fragte ich ihn erschüttert.
Er wandte mir seinen Kopf zu, in seinem Blick lag eine unendliche Traurigkeit. Seine blauen Augen waren wie ein verregneter Ozean – grau und trist. Er spielte mit den schweren, altmodischen Schlüsseln. Heute trug er auch keine Priesterrobe.
»Hey, Kurtz. Es war nicht meine Entscheidung. Der Rat … Die Kirche steckt in finanziellen Schwierigkeiten … und da kam das Angebot …«, er beendete den Satz nicht. Ihm fiel es schwer, zu sprechen.
Empört zeigte ich mit der Hand auf das stumme Gotteshaus. »Diese Kirche ist über tausend Jahre alt! Weißt du denn nicht, was sie damit machen werden? Sie werden sie abreißen! Sie werden hier alles abreißen!«
Er trat auf mich zu und lag seine Hand freundschaftlich auf meine Schulter.
»Ich weiß … Es … Vielleicht werde ich …« Augustine ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Er schloss die Augen und verschwand. Später hörte ich, dass er sich aus Protest vor der Kirche angezündet hatte. Die gesichtslosen Schergen der BCC sollen einfach nur zugesehen haben. Ihre Visiere reflektierten den brennenden Körper des Priesters, der so hell wie eine Flammensäule leuchtete.
Von den BCC-Mitarbeitern sah ich mehr und mehr auf meinen Rundgang. Sie trugen weiße Overalls, auf der Brust war die schwarze Krone aufgenäht, und schwere Stiefel an den Füßen. Ihre Gesichter versteckten sie hinter Schutzhelmen und Gasmasken. Sie schleppten Werkzeuge umher, einige von ihnen fuhren Kräne und andere Baumaschinen. Es war wirklich erstaunlich, wie schnell BCC das alles organisieren konnte. Wer auch immer dahinter steckte, verstand etwas von Projekten. Nicht nur, schaffte diese Firma es, kurzfristig beinahe alle Bewohner aus ihren Häuser zu verdrängen, sondern auch gleich die Abrissmaschinen herzuholen. Und das alles nahezu ohne Protest, ohne Medienrummel, ohne Aufschrei. Als wären wir unter einer Kuppel gefangen. Als wäre das Kriegsrecht ausgerufen worden.
Die Nähe zu den Arbeitern bekam mir nicht und ich verzog mich wieder nach Hause. Es half auch nicht, dass sie mir hinterher starrten, als wäre ich ein Fremdkörper, ein unerwünschter Gast. Ich fühlte mich beobachtet. Die Luft war angefüllt von einer elektrischen Ladung, wie kurz vor einem Gewitter. Über dem gesamten Dorf schien der Schatten von Max Schmidt zu liegen.
Spät am Abend saß ich im Wohnzimmer, versuchte, die deprimierenden Gedanken mit sinnlosem Fernsehen zu verscheuchen, was nur mäßig half. Plötzlich klopfte es an der Tür, es war das gleiche rhythmische Klopfen wie zu Anfang. Von einer Vorahnung beschlichen, ging ich zu meinem Schreibtisch und holte einen silbernen Brieföffner hervor, ein kostbares Erbstück der Familie.
Mit ihm bewaffnet ging ich zur Tür und öffnete sie, ich war schon bereit, loszubrüllen, doch eine Hand packte mich am Hemd und schleuderte mich hinaus auf den Gehweg. Hart prallte ich auf, irgendetwas brach in mir. Ein feuriger Schmerz durchfuhr meinen Körper. Den Brieföffner verlor ich bei meinem Flug.
Max Schmidt stand vor mir, sein Lächeln war immer noch zu sehen, doch seine Augen funkelten vor Hass und Zorn. War er physisch nicht in der Lage, dieses stumpfe Grinsen abzulegen?
»Wir haben es auf die nette Art versucht, Herr Kurtz, doch wer nicht hören will, muss halt fühlen. Eigentlich wollte ich das nicht tun, aber Sie lassen mir keine andere Wahl!«
»Was wollt ihr hier?«, rief ich unter Schmerzen.
Schmidt richtete sich seine Krawatte. »Manche Dinge, Herr Kurtz, müssen Sie nicht verstehen. Manche Dinge gehen Sie auch nichts an.« Er schnaufte verächtlich. Die Adern auf seiner Haut schienen zu pulsieren. »Hätten Sie doch einfach nur kooperiert. Dann wären wir jetzt nicht in dieser ungünstigen und verzwickten Lage!«
Sein Körper begann sich zu verwandeln. Die Arme und Beine wurden länger, die Brust schwoll an. Der Kiefer weitete sich, aus seinem Rachen kam ein langer, tropfender Stechrüssel hervor. Das Lächeln blieb.
»Sie werden sich noch wünschen, unser Angebot angenommen zu haben, Herr Kurtz«, krächzte er mit verzerrter Stimme.
Panisch sah ich mich um. Ich erblickte den Brieföffner, der nur wenige Meter neben mir im Gras lag, doch genauso gut hätte er am Grund des Meeres sein können. Unter schrecklichen Schmerzen rappelte ich mich auf und kroch wie in Zeitlupe auf den Dolch zu. Schmidt befand sich währenddessen bereits über mir, sein warmer Speichel tropfte auf mich herab.
Unter größter Anstrengung schaffte ich es, den Brieföffner zu ergreifen. Ich drehte mich um, mein Herzschlag war im gesamten Körper zu spüren, er dröhnte in meinen Ohren … und rammte den Öffner in die Brust von Max Schmidt und zog ihn nach unten. Es hörte sich an, als würde man Papier zerschneiden. Goldmünzen und Edelsteine fielen aus der Wunde heraus, verteilten sich auf den Rasen, ein kleines Vermögen. Der Vertreter fiel zu Boden, rührte sich nicht mehr. Sein Grinsen war für alle Zeiten eingefroren.
Verletzt und erschöpft kroch ich zu meinem Haus zurück. Wahrscheinlich war eine Rippe gebrochen. Ich brach neben der Tür zusammen, hatte kaum noch Kraft sie aufzumachen, doch ich musste es schaffen. Nicht jetzt, aber … später.
Ich drehte mich um, meinen Kopf stützte ich an die kühle Fassade. Die Schergen hatten bereits angefangen, die Häuser mit Baggern und Kränen abzureißen. Anscheinend hatte es die BCC eilig, sehr eilig. Die Straßenlaternen tauchten die Straße in ein oranges, gemütliches Licht. Die Idylle wurde zerrissen vom Geräusch herabfallender Steine und dem Dröhnen der Motoren. Ob es noch andere wie mich gab? Hatten sie sich ebenfalls gewehrt?
Ich schaute auf die Leiche von Max Schmidt. Die Hülle war tot, doch der Schatten blieb.
Das Leiden nahm kein Ende. Ohne die Möglichkeit auch nur irgendetwas tun zu können, musste ich mit ansehen, wie sie meine Heimat auseinandernahmen. Straße um Straße, Haus um Haus, Stein um Stein. Nichts ließen diese Raubtiere unberührt. Ihre grausamen Maschinen fraßen sich durch den Boden. Ich konnte mein Haus nicht beschützen. Sie ignorierten mich einfach. Staub und Dreck wirbelte um mein Gesicht, kam in meine Lunge. Ein furchtbarer Husten ergriff mich. Ich versuchte, in Sicherheit zu kriechen.
Als ihre schändliche Tat vollendet war, war das Dorf nur noch eine Trümmerlandschaft.
Die BCC-Mitarbeiter begannen, einen Kreis in der freigelegten Mitte des Dorfes zu bilden. Sie hoben die Arme zum Himmel und sangen. Mit Unglauben in den Augen und Entsetzen im Herzen starrte ich sie an. Was sollte das jetzt werden? Ihre Stimmen ähnelten einem schrillen Zischen. Der Text, wenn es denn einen gab, blieb für mich unverständlich. Die Worte schienen aus einer den Menschen unbekannten Sprache zu stammen. Ihre Arme wedelten uniform von links nach rechts.
Plötzlich streiften sie ihre Kleidung, ihre menschliche Haut ab und zum Vorschein kamen weiße Schlangen. Alptraumhaften Gorgonen gleich sangen und zischten sie weiter ihr grässliches Lied. Ich wollte nicht mehr hier sein. Ich wollte aufwachen. Ich wollte raus aus diesem Irrsinn.
Der Boden bebte. Der Gesang erreichte seinen fanatischen Höhepunkt. Aus der Erde brach eine gewaltige Schlange hervor – weißer als ein Albino, Augen so schwarz wie der Kosmos. Sofort begann sie sich selbst zu verschlingen.