Der entsetzliche Gestank von verbranntem Fleisch gemischt mit faulen Eiern stieg mir in die Nase, nur mit Mühe behielt ich mein Frühstück drin, an diesen Geruch konnte ich mich einfach nicht gewöhnen. Doch es hatte auch seine Vorteile: Diese ekelhafte Ausdünstung kündigte immer ihr baldiges Kommen an. Der warme Wind brachte die Boten zur Front.
Mein Blick schweifte über ein aschfarbenes Niemandsland, wo kein Baum und kein Grasbüschel mehr wuchs. Das Leben hatte hier schon vor einiger Zeit die Flucht ergriffen.
Am Horizont sah ich eine gewaltige schwarze Rauchwolke emporsteigen. Das war ihre Angriffsarmee, man konnte sie schon Meilen im Voraus erkennen. Erst der Geruch, dann der Rauch. Bei diesem Feind brauchten wir keine Späher, er war immer gut sichtbar.
Hinter uns marschierte der Hauptmann, ein großgewachsener älterer Herr aus adligem Haus. Einst nur ein einfacher Gutsbesitzer aus Schlesien, wurde er aus seinem gemütlichen Umfeld wie Unkraut rausgerissen und an die brandenburgisch-preußische Front abkommandiert. Statt sich um Pferde und Bedienstete oder dergleichen zu kümmern, musste er sich nun mit unflätigen Rekruten herumschlagen, die gerade erst gelernt hatten, wo sich das gute und wo sich das schlechte Ende des Gewehrs befand. Das er unzufrieden mit der Situation war, ließ er uns auch deutlich spüren. Die meiste Zeit über schnauzte er uns nur mürrisch an, grummelte vor sich hin, besoff sich. Ehrlich gesagt, konnte ich es ihm nicht verübeln. Ich wäre auch lieber woanders oder würde mich in mehr schlecht als recht gebrannten Schnaps ertrinken, wenn ich die Möglichkeit hätte. Doch wir konnten uns unser Schicksal nicht aussuchen. Das Vaterland, oder zumindest was davon übrig war, rief.
»Bereitmachen!«, rief er mit trockener, krächzender Stimme.
Wir legten die Gewehre an, die Rauchwolke kam immer näher. Von meiner Truppe waren nur noch eine Handvoll, vielleicht ein paar Dutzend, am Leben. Uns ging langsam die Munition aus, Nachschub kam schon lange nicht mehr. Wahrscheinlich war die Heimatfront weiter gen Osten gerückt. Die Fabriken lagen still, die Politiker schwiegen, die Offiziere betranken sich.
Der Gestank wurde stärker, Atmen wurde immer schwerer. Selbst die Gasmaske half nicht mehr weiter, der Geruch fraß sich einfach wie Säure durch. Und je näher sie kamen, desto schlimmer wurde es. Ich habe Leute gesehen, die einfach ohnmächtig geworden sind.
Ich packte mein Gewehr fester, neben mir hatten ein paar Kameraden das Maschinengewehr bestückt. Eigentlich sollte bereits die Artillerie feuern, doch der mangelte es an Munition wie auch an Personal. Wenn ich mich richtig erinnere, war der letzte Kanonier vor drei Wochen draufgegangen. Armes Schwein, ich kannte ihn persönlich. Er war ein guter Kerl. Aber auch wenn er es nicht gewesen wäre, niemand hatte verdient, so zu sterben.
Wie eine Flutwelle rollte die Rauchwolke auf uns zu, man konnte bereits die brennenden Körper sehen. Ich fragte mich, warum sie sich überhaupt in diese schwarze Wolke hüllten. Hier waren sie kilometerweit zu sehen. Es hatte strenggenommen keinen taktischen Vorteil, aber vielleicht diente es auch einfach nur zur Einschüchterung.
Hinter mir schrie der Hauptmann: »Feuer!«, und sogleich brach ein Gewitter los. Das Maschinengewehr donnerte neben mir, schoss immer wieder kurze explosionsartige Salven, meine Ohren dröhnten. Ich schoss mit meinem Gewehr, schoss in die dunkle Wolke hinein, hoffte, dass ich wenigstens etwas traf. Ah, ich begriff jetzt, warum sie sich einhüllten. Das ich nicht schon früher draufgekommen war.
Die Biester sprangen aus den Schwaden, Monstrositäten aus Schwefel und Rauch. Vor ungefähr fünf Jahren tauchten sie im Westen Europas auf, kurz nach dem Ende des Großen Kriegs. In wenigen Tagen nahmen sie Paris ein, brannten den Eiffelturm nieder. Großbritannien fiel nach drei Wochen, London soll nur noch eine Schlackelandschaft sein, die einstige Weltmetropole eine Wüste. Was wir nicht in vier langen Jahren schafften, erreichten die Dämonen innerhalb eines Monats. Nun hatten sie aber auch den Moment der Überraschung auf ihrer Seite. Wer hätte denn schon damit rechnen können, dass Kreaturen aus der Hölle aus irgendeinem Loch gekrochen kämen, um Krieg gegen zu ziemlich alle zu führen?
Sie hatten ein leichtes Spiel, alle großen Armeen Europas waren noch an der Front, zermürbt, zersplittert, ausgedünnt, am Ende ihrer Kräfte oder auf dem Rückzug. Es war niemand da, der die ersten Wellen hätte aufhalten können, also überrollten sie uns einfach, verbrannten alles auf ihrem Weg und hinterließen nichts als weiße Asche.
Bis wir merkten, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, hatten sie schon Belgien, Luxemburg und Elsass-Lothringen erreicht und die dortigen Bevölkerungen massakriert. Letzte Woche hatte ich mit einem Flüchtling aus der Gegend um Straßburg geredet. Er behauptete, gesehen zu haben, wie die Dämonen von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt gingen und die Menschen aus den Häusern trieben. Sie wurden zu großen Löchern im Boden gebracht und dort hineingestoßen. Niemand wusste, was mit ihnen geschah. Wahrscheinlich endeten sie als Futter.
Die Gegenden, die die Dämonen eroberten, begannen sich zu verändern. Pflanzen starben, Tiere verschwanden, dichte, schwarze Wolken verdeckten den Himmel, seltsame Gebilde wuchsen aus dem Boden, das Wasser verfärbte sich blutrot, giftige Dämpfe hingen in der Luft. Es stank nach Schwefel, Tod und Verwesung. Es war, als würden diese Monster unsere Heimat in ihre verwandeln wollen.
Damals als der Weltkrieg in Europa tobte, half ich an der Heimatfront, so gut es ging. Da ich Jahrgang 1900 war, war ich zu Beginn des Krieges zu jung, um teilnehmen zu können. Vielleicht war das gut so. Ich gehörte nicht zu der Frontgeneration wie mein Bruder, der bei der Schlacht von Verdun fiel. Sein Blick, sein letzter Blick, bevor er losfuhr, hing noch immer in meinem Gedächtnis.
Sobald der Krieg vorbei war, sehnte ich mich danach, studieren zu gehen, Literatur, Philosophie oder Geschichte, das war ich mir noch nicht sicher. Ich wollte unbedingt an die renommierte Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin gehen, in die großartige Metropole unserer Nation.
Daraus wurde alles nichts. Nun befand ich mich an einer kilometerlangen Front irgendwo im Nirgendwo, die meisten meiner Freunde bereits tot, die Welt, wie ich sie kannte, in Ruinen. Und wer wusste schon, ob ich den nächsten Tag erleben werde.
Der Kaiser, seine Familie und die deutsche Regierung flohen nach Königsberg. Mir war nicht wirklich klar, was sie dort wollten, worauf sie hofften. Gaben sie sich der Illusion hin, dass wir, die versprengten Überreste des Heeres, die brennende Flut aufhalten könnten? Dass es uns möglich wäre, einen Sieg davonzutragen, eine Kriegswende herbeizubeschwören? Realistisch betrachtet, waren wir einfach nur Kanonenfutter, eine lebende Mauer aus Knarren. Ein Wall, der das Flammenmeer ein wenig bremsen sollte.
Der Kaiser hätte mit uns kämpfen sollen, zusammen an vorderster Front, unabhängig davon, ob er selber dabei gestorben wäre, zumindest hätte er dann ein leuchtendes, heroisches Beispiel abgegeben. Doch stattdessen hatte er sich in einen Palast im weit entferntesten Teil Preußens verkrochen und die Türen abgeschlossen.
Die Diener der Hölle näherten sich unseren Graben. Ich konnte ihre verdrehten Körper nun deutlicher erkennen: wilde Amalgame aus Teer, Knochen, Metallstücken und roten Fleisch. Viele von ihnen bewegten sich auf allen vieren, ihre mit Zähnen bestückten Schwänze peitschten mit lautem Knall, ihre Krallen wirbelten Dreck auf. Aus ihren Mäulern stießen Flammen hervor. Doch das war nur die Vorhut, der Stoßtrupp der Höllenarmee. Dahinter marschierten große zweibeinige Humanoiden, die seltsame metallische Apparaturen mit sich trugen, ähnlich der schottischen Sackpfeifen. Aus den Rohren kamen dicker schwarzer Rauch und ein tiefes Dröhnen. Umschwärmt wurden die ›Musiker‹ dabei von geflügelten Kreaturen, die wie eine Mischung aus überdimensionierten Hornissen und Fledermäusen aussahen. Ihr Summen löste ein unangenehmes Kribbeln auf meiner Haut aus.
In der letzten Reihe befand sich das schrecklichste Monster der Armee: die Tanks, die auf sechs Beinen auf uns zukrochen, diese lebenden Maschinen, die vor Schmerzen stöhnten, anscheinend waren sie mit ihrer Existenz gänzlich unzufrieden. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, welcher verrückte Ingenieur diese grässlichen Kreaturen erschaffen hatte. Auf ihrem Kopf platzten tumorartige Facettenaugen hervor, auf ihrem Rücken wuchs ein fleischig-metallisches Kanonenrohr, überzogen mit pulsierenden Adern.
Zwischen ihren stämmigen Beinen huschten kleinere Kreaturen hindurch, zweibeinige Monstrositäten, perverse Karikaturen eines Frontsoldaten, die Gesichter zu organischen ›Gasmasken‹ entstellt, die linke Hand zu einem Gewehr verformt. Sie trugen sogar Mäntel aus Haut, fragt sich nur, ob es ihre eigene war oder die von Menschen.
Wir versuchten, so viele wie möglich abzuschießen. Die Stoßtrupps, die Hornissen und die Soldaten waren da noch ein leichtes Spiel. Ein richtiger Treffer und sie sanken zu Boden, wie es auch Menschen taten. Ihre toten Körper zerfielen einfach zu Asche. Wohin gingen eigentlich Dämonen, wenn sie starben? Kehrten sie in die Hölle zurück? Kamen sie zur Bestrafung für ihre üblen Schandtaten in den Himmel, auf ewig dazu verdammt, in Glückseligkeit vor sich hin zu vegetieren? Oder lösten sich ihre Existenzen einfach auf?
Die größeren Monster zu erledigen, war schon weitaus schwieriger. Sie schluckten Unmengen an Kugeln. Den ›Musikern‹ schienen sie überhaupt nicht zu stören, sie spielten weiter ihr verstörendes Lied ohne für menschliche Ohren erkennbare Melodie. Wir benötigten stärkere Geschütze, die uns nicht zur Verfügung standen.
Der gleiche Flüchtling, der mir von den schrecklichen Löchern erzählte, sagte mir auch, dass er gesehen habe, nachdem er nachts seltsame ›traurige Gesänge‹ gehört hatte, wie sich die Dämonen an bestimmten Punkten sammelten und die Sterne am Himmel anstarrten. Angeblich vermochte er auf ihren Gesichtern ›Hoffnungslosigkeit‹ und ›Ratlosigkeit‹ erkennen zu können, falls das überhaupt möglich war. Er stellte die gewagte These auf, dass die Höllenbrut nicht freiwillig hier auf Erden, sondern das sie gestrandet war, ohne einen Weg zurück, abgeschnitten von der glühenden Heimat, umgeben von einer fremden Welt, deren Regeln und Gesetze sie nicht verstand, deren Bewohner sie fürchten, so wie wir sie fürchten. Deshalb taten sie das, was sie wahrscheinlich bereits seit dem Engelssturz taten: erobern, plündern, morden, kriegführen. Es gab ihnen Halt, Sicherheit.
Doch was veranlasste die Dämonen, ihr liebes Zuhause so fluchtartig zu verlassen? Der Flüchtling hatte nur Theorien als Antwort parat. Er vermutete, dass es eine Revolution in der Hölle gab, vielleicht wurden die großen Marschälle Luzifers entthront, usurpiert von niederen Wesen, die nach Veränderungen im ewigen Kampf dürsteten. Vielleicht waren sie des Schlachtens und des Mordens müde geworden. Vielleicht … nur vielleicht … sehnten auch sie sich nach Frieden, Land und Brot. Es gab keine Antworten auf diese Vermutungen, die Dämonen sprachen mit uns nicht und wir taten es ebenfalls nicht. Wir töteten uns nur gegenseitig.
Der Flüchtling zog danach gen Osten, er hoffte darauf, sich dort ein besseres Leben aufbauen zu können. Er hegte die naive Vorstellung, dass die Teufel schon nicht so weit kämen. Eventuell bekam er sogar die Chance, ein Stück Land zu bekommen und ein Bauer zu werden. Zumindest würden sich die Russen besser um ihn kümmern, als es die verbliebenden Reste der Deutschen konnten. Die Rote und die Weiße Armee hatten angesichts des Höllenkrieges sogar ihren Streit kurzzeitig beiseitegelegt und arbeiteten zusammen, um mit den Ansturm von flüchtenden Massen fertig zu werden. Ich hatte das Gerücht vernommen, dass die Russen die Leute einfach nur in Lager steckten, bis sie wussten, was sie mit ihnen anfangen konnten. Ich wollte aber nicht die Stimmung des Flüchtlings vermiesen, schließlich erschien er mir als vernünftiger Kerl, also wünschte ich ihn nur einen guten Weg und eine schöne Zukunft.
Als ich mit dem Gewehr auf dem Kopf eines Stoßtruppdämons zielte, fragte ich mich, wie es ihm wohl erging, ob er sein Ziel erreicht hatte, ob er sein Glück fand. Ich hoffte sehr, dass er noch am Leben war. Womöglich sah ich ihn noch einmal. Es hieß schließlich, man sehe sich immer zweimal.
Die Dämonen hatten zu Beginn des Höllenkriegs ein leichtes Spiel, das deutsche Kaiserreich zu überfallen. Zuerst fielen Elsass-Lothringen und Baden, dann das Rheinland, Württemberg und Hessen, danach begannen Preußen und Bayern zu brennen. Sie zerstückelten die Überreste des kaiserlichen Heeres, doch Menschen sind hartnäckige Kreaturen. Wir begannen uns zu wehren, wir brachten ihren Vormarsch zumindest vorübergehend zum Stoppen. Wir taten das, was wir im Weltkrieg eigentlich versucht hatten, zu vermeiden: Wir verwickelten sie in einen Stellungskrieg. Aber diesmal hatten wir einen Vorteil auf unserer Seite, wir waren nicht die Angreifer, sondern die Verteidiger. Wir mussten die Stellung nur halten. Die Gräben wurden ausgebaut, der Stacheldraht ausgerollt. Es sollte den Dämonen so schwierig, wie möglich gemacht werden.
Anfangs sah es auch so aus, als würden wir die Oberhand behalten. Ihre Wellen zerschellten an unseren Festungen. Andere hatten nicht so viel Glück, Österreich-Ungarn fiel im dritten Kriegsjahr, die Osmanen schafften nicht mal eins, aber man muss auch ehrlicherweise sagen, dass sie es noch schwieriger hatten. Die Türken nutzten nämlich die Krise aus und versuchten ihren eigenen, unabhängigen Staat auszurufen. Denkbar ungünstigster Moment. So führten die Osmanen nicht nur einen Krieg nach außen, sondern auch nach innen.
Doch auch unser Glück wandte sich bald. Wir mussten mehr und mehr von Preußen aufgeben, uns immer weiter zurückziehen, hinterließen eine Spur von verlassenen Gräben, bald fielen auch Sachsen und Thüringen, die vorher noch tapfer an unserer Seite gekämpft hatten. Uralte deutsche Städte brannten bis auf die Grundmauern nieder. Die Dämonen zerstörten Kirchen, Denkmäler, Friedhöfe, sie ließen keinen Stein auf den anderen, zerstörten unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere Nation. Sie nahmen keine Gefangenen, zumindest keine von denen wir wussten. Die Regeln, die für die Kriegsführung aufgestellt worden waren, galten hier nicht. Wobei … wahrscheinlich galten sie schon im Krieg davor nicht mehr.
Ich frage mich, wie die Geschichte verlaufen wäre, hätten die Dämonen uns nicht angegriffen. Der Weltkrieg war definitiv verloren, doch was dann? Im Kaiserreich brodelte der Kessel, die Leute waren unzufrieden, die Arbeiter hungerten, die Soldaten wollten nicht mehr sinnlos verheizt werden, die Uhr stand auf ›Revolution‹, doch dann – erschienen die Dämonen und änderten den Lauf der Geschichte für immer. Wie würde diese alternative Welt wohl aussehen? Wahrscheinlich wäre sie besser als die jetzige, so viel stand fest.
Wenn die Höllenkreaturen mit uns fertig sind, hält sie nichts davon ab, weiter nach Osten zu marschieren: Polen, das Baltikum, Russland, schlussendlich auch ganz Asien. Wie weit würde ihr Eroberungshunger reichen? Wenn sie die Chinesen und Mongolen zerfleischt haben, ist ihr Blutdurst dann gestillt? Oder werden sie so lange weitermachen, bis sie auch den Rest der Welt in ihren deformierten Klauen halten? Schwimmen sie über den Pazifik und den Atlantik und schnappen sich dann die amerikanischen Kontinente?
Die Yankees, die hier in Europa stationiert waren, hatten keine Chance, sie wurden einfach aufgerieben, konnten nicht einmal eine Meldung nach Hause schicken. Das stimmte mich doch sehr pessimistisch. Die hinterm großen Ozean konnten noch so eine schlagkräftige Armee haben, gegen die Höllenbrut werden sie kein Licht sehen. Momentan taten sie gut daran, diesen Konflikt einfach auszusitzen, so wie sie es immer taten.
Die Menschheit hat vielleicht ein bis drei Jahre auf ihrer Lebensuhr übrig, dann wird sie von der Spitze der Schöpfung gestoßen und neue Herren werden über das Antlitz der verbrannten Erde wandern. Bis auch diese sich gegenseitig abgeschlachtet haben. Und dann ist dieser Ort nur eine weitere tote Welt, die im leeren Kosmos schwebt.
Nietzsche schrieb, dass Gott tot sei und wir ihn umgebracht haben, hätte nicht gedacht, dass seine Feinde das gleich ausnutzen würden. Doch wenn der Schöpfer hinüber war, galten anscheinend auch für die Hölle keine Regeln mehr. Vielleicht war das der Grund für den Exodus. Gott war tot, seine ätherische Leiche lag noch auf dem goldenen Thron, die Engel verschwanden in alle Richtungen, der Himmel war verlassen und die Dämonen blickten nach oben, sahen keinen Sinn mehr. Für Millennien hatten sie sich darauf vorbereitet, die große Festung ihres Erzfeindes zu stürmen und das Gute zu korrumpieren, Rache zu nehmen, für die gescheiterte Rebellion. Doch der Mensch, dieses unflätige Tier, was zwischen zwei Welten hockte, hatte es für sie erledigt und den Großen Plan durcheinandergebracht.
Gut möglich, dass die Niederen unter ihnen damit nicht zurechtkamen. Gut möglich, dass die Fürsten der Hölle ihre wildgewordenen Untergegebenen nicht mehr kontrollieren konnten. Gut möglich, dass die Heerscharen die Gelegenheit beim Schopf packten und sich nach Veränderungen sehnten. Wenn der Große Plan nicht mehr gültig war, dann hatte das elendige Abschlachten und die starre Hierarchie keinen Sinn mehr. Haben zornige dämonische Revolutionäre sich Luzifer geschnappt und ihn gelyncht, so wie es die Bolschewisten mit Zar Nikolaus II. getan haben?
Die Biester kamen immer näher, ich konnte ihre geifernden Mäuler und die wilden Augen sehen. Es fehlten nicht mehr viele Meter. Neben mir verstummte das Maschinengewehr, die Munition war ausgegangen, die Mannschaft flüchtete. Immer mehr Soldaten desertierten. Ich nicht, ich wollte bleiben. Es hätte eh keinen Sinn gehabt, zu fliehen. Wohin denn auch? So schnell konnte ich nicht rennen.
Die Dämonen überschritten den Stacheldraht, es war kein Hindernis für sie. Die Tanks schossen ätzende Kugeln auf uns, der Aufprall wirbelte Schmutz und Dreck auf. Ich sah, wie einige vom Stoßtrupp in den Graben sprangen und die fliehenden Soldaten zerfetzten. Die Schreie bekam ich gar nicht mehr mit.
Der alte Hauptmann neben mir setzte sich einfach auf eine Kiste und betrachtete mit müden Augen das Gemetzel. Aus seiner Manteltasche holte er eine schmutzige Flasche Schnaps hervor. Er trank einen Schluck und reichte sie mir dann. Ich nahm sie gerne entgegen. Die brennende Flüssigkeit trieb mir Tränen in die Augen, aber es fühlte sich gut an. Das Dröhnen der ›Musiker‹ rückte näher.
»Wollen Sie nicht verschwinden?«
»Wohin denn? Die Sache ist gegessen.«
»Wohl wahr. Was glauben Sie, wo wir landen, wenn wir hier sterben?«
»Gute Frage. Ich nehme an, weder im Himmel noch in der Hölle. Die göttlichen Heerscharen antworten nicht und die Teufel fliehen auf die Erde. Scheint so, als wäre keiner der beiden Orte im Moment für uns geeignet. Wahrscheinlich wird unsere Seele einfach im Zwischen verrotten.«
»Man kann es nur hoffen. Es würde zumindest Frieden bedeuten.«
»Amen.«