1. Einleitung
Die SA, auch Sturmabteilung genannt, war eine paramilitärische Organisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), die nicht nur für ihr brutales Vorgehen gegen politische Kontrahenten und Juden bekannt war, sondern auch für ihre Zurschaustellung und Verherrlichung von Männlichkeit und Soldatentum.
Die Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob die Männlichkeitsdarstellungen der SA eine Reaktion auf die liberalen Verhältnisse der Weimarer Republik waren.
Im ersten Punkt der Arbeit wird erläutert, was an der Gesellschaft der ersten deutschen Demokratie liberal war und welche Veränderungen im Vergleich zum Wilhelminischen Kaiserreich stattfanden, die eine Abwehrreaktion der Sturmabteilung hervorgerufen haben könnten. Dabei wird auf drei Kernaspekte eingegangen: die Einführung der Demokratie, die Stellung der Frau und neuartige Kunstformen.
Der zweite Punkt beschäftigt sich mit den Männlichkeitsdarstellungen der SA. Beleuchtet werden die verschiedenen Formen, die die Darstellungen annehmen können, primär geht es um diese: Selbstbild, Verhältnis zu Gewalt, Uniformierung und Kameradschaftsgeist.
Abschließend wird aus den Argumenten und Erkenntnissen ein Fazit gezogen.
Die Hausarbeit stützt sich im Wesentlichen auf die Arbeiten von Sven Reichardt und Daniel Siemens, die umfassende Standardwerke zur Geschichte und Kultur der Sturmabteilung geschrieben haben. Des Weiteren werden die Werke von Ulrich Herbert, Heinz Höhne und anderen herangezogen.
Die Frage, ob die Männlichkeitsdarstellungen der SA eine Reaktion auf die liberale Gesellschaft der Weimarer Republik waren, wurde soweit in der Forschung noch nicht behandelt.
2. Die liberale Gesellschaft der Weimarer Republik
Die Weimarer Republik hatte einen schweren Start. Nicht nur musste sie die Lasten des Ersten Weltkrieges und des Versailler Vertrages tragen, sondern sie drohte auch während ihrer Anfangsjahre an einen blutigen Bürgerkrieg und Grenzkonflikten zu zerreißen. Des Weiteren sah sie sich ständigen Angriffen und Anfeindungen der politischen Rechten und Linken ausgesetzt. Nichtsdestotrotz vermochte sie es, die alte kaiserliche Monarchie durch ein liberaleres parlamentarisch-demokratisches System zu ersetzen (Vgl. Herbert 2014, 177-195).
Besonders die Abschaffung der Monarchie war etwas, das die alten Militärs, darunter auch Ernst Röhm, der jungen Demokratie nie verzeihen konnten. Ihres alten Prestiges beraubt, wandten sich die Offiziere von der Republik ab (vgl. Höhne 2002, 20). Der Hauptmann und spätere SA-Führer Röhm träumte davon „das Sündenbabel der Revolution, Berlin“ (Vgl. ebd.) einzunehmen.
Die Liberalisierung erfasste neben der Politik auch Sexualthemen und Frauenrechte. Was in der Wilhelminischen Ära noch als undenkbar galt, nämlich über Abtreibung und Verhütung zu sprechen, war nun in der Weimarer Republik, wenn auch mit Einschränkungen, möglich. Frauen wurden in langsamen Schritten unabhängiger (Vgl. Höhne 2002, 234-239). Das Bild der Angestellten symbolisierte die „neue weibliche Selbständigkeit“ (Ebd., 237) als Gegensatz zum alten Frauentyp des Kaiserreiches (Vgl. ebd.). Frauen gelangten auch zunehmend in akademische Berufe, z.B. Studentenrätin und Ärztin (Vgl. ebd.). Durch das im November 1918 eingeführte Frauenwahlrecht war es Frauen nun auch möglich, am politischen Leben aktiv teilzunehmen (Vgl. Wolff 2018). Reaktionär und konservativ eingestellte Männer sahen sich nicht nur in ihrem Prestige, sondern auch in ihrer dominanten Stellung innerhalb der Gesellschaft bedroht. Für die SA waren Frauen in erster Linie entsexualisierte Unterstützerinnen (Mutter, Krankenschwester; Bewunderin, etc.), für Frauen im Kriegseinsatz hatten SA-Männer, besonders Röhm, nichts als Verachtung übrig (Vgl. Reichardt 2009, 673-679).
Auch die Kunst erfuhr eine stürmische Entfaltung, in kürzester Zeit wurden unzählige neue Stile und Kunstformen ausprobiert und wieder verworfen. Hier ist besonders der Dadaismus hervorzuheben, der sich durch seine radikale und absurd gestaltete Kritik an der Sinnlosigkeit des Krieges, des Nationalismus und des Konservatismus in der Gesellschaft auszeichnete (Vgl. Herbert 2014, 249). Die Nationalsozialisten, darunter auch die SA, sahen in diesen neuen Ausdrucksformen insbesondere eine als „entartete“ oder „jüdisch-bolschewistische“ Kunst, unzumutbar für den „Volkskörper“ (Vgl. Noack 1984, 108). Die Kunst hatte sich der Doktrin des „Führers“ unterzuordnen, der dazu schrieb: „Kunst ist Lebensäußerung eines Volkes. Das Volk muß [sic] deshalb fordern, daß [sic] die Kunst Spiegel und Richtbild seiner Seele sei.“ (Adolf Hitler, „Mein Kampf“ zit. nach Noack 1984, 108).
3. SA und Männlichkeit
Laut der nationalsozialistischen Parteigeschichtsschreibung wurde die Sturmabteilung am 12. November 1920 vom Uhrmacher Emil Maurice ins Leben gerufen, doch die Idee einer paramilitärischen „Saalschutztruppe“ zirkulierte schon 1919 in den Kreisen der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), der Vorgängerorganisation der NSDAP. Die Nationalsozialisten waren weder die Ersten mit der Idee einer parteigebundenen Kampftruppe noch mit der Namensgebung „Sturmabteilung“. Der bayerische Sozialdemokrat Erhard Auer hatte nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisner eine solche Schutztruppe gegründet, die SPD übernahm das Konzept und nannte diese „Saalschutzabteilung/Sturmabteilung“, abgekürzt SA. Im Übrigen war es in der Anfangszeit der Weimarer Republik nicht unüblich, dass politische Bünde eigene Paramilitärs besaßen, allein in Bayern gab es Dutzende von Kampfverbänden und Einwohnerwehren (Vgl. Siemens 2017, 46f.).
Die Männlichkeitsdarstellungen der SA manifestierten sich in verschiedenen Formen, wie den Uniformen, dem Selbstbild, dem Verhältnis zur Gewalt und dem Kameradschaftsgeist.
Die Uniformierung der SA-Männer hatte den Zweck, sich optisch von der Umwelt abzugrenzen und sich mit Kameraden zu identifizieren. Das sogenannte „Braunhemd“ war ein Symbol für „heroische Männlichkeit und soldatischen Militarismus“ (Reichardt 2002, 587). Für die SA-Männer war die Uniform ein Symbol gegen die verhasste deutsche Republik und ihre Werten sowie für ein neues Deutschland auf der Basis von Männlichkeit, Militarismus und Jugendlichkeit (Vgl. ebd., 588).
Der Kameradschaftsgeist der SA basierte auf romantisierten Fronterinnerungen aus dem Ersten Weltkrieg. Da viele jugendliche, männliche SA-Rekruten zu jung für den Einsatz im Krieg waren, musste die Sturmabteilung den Willen zur Bewahrung der Weltkriegskameraderie erst heraufbeschwören. Durch die Gleichmacherei der Uniformierung, das Singen militärischer Marschlieder und die Stilisierung der Fahne als Ausdruck der Kampfgemeinschaft wurde ein „klassenübergreifender Frontgeist“ erschaffen, der die männliche Gemeinschaft ins Zentrum rückte und Klassenunterschiede somit bewusst verschleierte. Die emotionale Vergemeinschaftung und das Wir-Gefühl wurden in Kontrast zum „kalten“ Egoismus und Materialismus der Moderne und insbesondere der Gesellschaft der Weimarer Republik gesetzt (Vgl. ebd., 591f.).
Kameradschaft war ein zentraler Punkt in den Männlichkeitsdarstellungen der SA. Wie schon oben erwähnt, bildete sich diese männliche Kameraderie aus den Erfahrungen im Ersten Weltkrieges heraus. In den Augen der SA-Männer sorgten die Erlebnisse in den Schützengräben für eine „männliche, klassenübergreifende Solidarität“, die alle sozialen Schranken überwand. Der Krieg hatte ihnen Gleichheit gebracht und diese Erfahrung wollte die SA mithilfe eines militärischen Männerbundes wiederaufleben lassen (Vgl. ebd., 671).
Gewalt war das vorrangige Mittel eines SA-Mannes zur Lösung von Problemen. Verhandlung, Ausgleich und friedliches Miteinander wurden als „verweichlicht“ verpönt. Konfrontation und Kampf galten als die höchsten Ideale der SA, körperliche Gewalt wurde verherrlicht. Nur wer kämpft, sei auch ein „echter Soldat“ und somit auch ein „echter und wahrer Mann“(Vgl. Ebd., 665). Der gewalttätige SA-Mann bildete so den Gegensatz zum vermeintlich „weichlichen Bürger“ (Ebd., 666), dem „lüsterne[n] Juden“ (Ebd.) und zum Kommunisten, der als „Agent des weiblichen Chaos“ (Ebd.) und des Materialismus niemals ein wahrer Mann sein kann (Vgl. ebd.).
Die SA-Männer sahen sich in ihrem Selbstbild als „politische Soldaten“, die ohne Zweifel und ohne abzuwägen für das Vaterland kämpfen und ihre Dienste völlig abgekoppelt von Frau und Familie dem soldatischen Männerbund zur Verfügung stellen (Vgl. Häusler 2014). Der Erhalt der Männlichkeit sollte durch die Kolonne (d.h. die militärische Gemeinschaft) und die Nation gesichert werden, Einheit und Formung galten als männlich, Auflösung hingegen als weiblich (Vgl. Reichardt 2002, 667).
4. Schlussbetrachtung
Im Folgenden möchte ich die dargestellte Argumentation zusammenfassen. Die Gesellschaft der Weimarer Republik zeichnete sich durch eine starke Liberalisierung im Vergleich zum deutschen Kaiserreich aus. Die Abschaffung der Monarchie ermöglichte es, ein parlamentarisch-demokratisches System aufzubauen. Frauen bekamen zum ersten Mal in der deutschen Geschichte das allgemeine Wahlrecht, und auch ihre Stellung veränderte sich. Es gab mehr weibliche Berufe, mehr erwerbstätige Frauen und über sexuelle Themen wie Abtreibung und Verhütung wurde zunehmend öffentlich diskutiert. Auch die Kunst erfuhr eine Liberalisierung, neue Kunstrichtungen und -formen wurden erschaffen und mit ihnen experimentiert. Alle diese Veränderungen stießen besonders am rechten und rechtsextremen Rand auf Widerstand.
Die Männlichkeitsdarstellungen der SA manifestierten sich in verschiedenen Formen, wie dem Kameradschaftsgeist, der Uniformierung, dem Selbstbild und dem Verhältnis zur Gewalt. Die SA inszenierte sich auf eine fast schon theatralische Art und Weise als ein Soldatenheer, komplett mit eigener Uniformierung, Hierarchie und militärischer Organisation (Stürme). Die Männer der SA wollten sich sowohl optisch als auch innerlich von der liberalen Gesellschaft der Weimarer Republik abgrenzen. Sie verabscheuten die „kalte Moderne“, die „Novemberverbrecher“ und die Demokratie, die ihnen das Prestige und die Monarchie geraubt hatten. Sie hassten das „verweichlichte“ Bürgertum, die Juden und die Kommunisten mit ihrem Materialismus. Den Erscheinungen der Moderne und des Liberalismus setzte die SA einen faschistischen Männerbund entgegen, der mit Gewalt Probleme löste und politische Debatten im Parlament ablehnte. Die Uniform hob die sozialen Unterschiede (vermeintlich) auf. Die Mitglieder konnten vollständig im Männerbund und im „Kampf für das Vaterland“ aufgehen, losgelöst von Frauen, familiären Verpflichtungen und der zunehmenden Komplexität der Moderne.
Die Männlichkeitsdarstellungen der SA waren keine bloße Reaktion auf die liberale Gesellschaft, sondern wurden durch die Republik verstärkt. Sie waren geprägt von dem Erfahrungen im deutschen Kaiserreich und in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges.
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Häusler, Alexander (2014): Die Konstruktion soldatischer Männlichkeit im faschistischen Weltbild. Verfügbar unter: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/197049/die-konstruktion-soldatischer-maennlichkeit-im-faschistischen-weltbild [Aufgerufen am 23.03.2021].
2. Herbert, Ulrich (2014): Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. München: C. H. Beck.
3. Höhne, Heinz (2002): Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS. München: Orbis Verlag.
4. Noack, Detlef M. (1984): „Kunst unter Diktatur“. In: Hochschule der Künste Berlin (Hrsg.): Kunst, Hochschule, Faschismus: Dokumentation der Vorlesungsreihe an der Hochschule der Künste Berlin im Jahr 50 der Machtübertragung an die Nationalsozialisten. Berlin: Verlag für Ausbildung und Studium in der Elefanten Press, S. 100-125.
5. Reichardt, Sven (2009): Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA. Köln: Böhlau Verlag Köln Weimar Wien.
6. Siemens, David (2017): Sturmabteilung. Die Geschichte der SA. München: Siedler Verlag.
7. Wolff, Dr. Kerstin (2018): Der Kampf der Frauenbewegung um das Frauenwahlrecht. Verfügbar unter: https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/frauenwahlrecht/278701/der-kampf-der-frauenbewegung-um-das-frauenwahlrecht [Aufgerufen am 11.03.2021].
6. Eidesstattliche Erklärung
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Die „Richtlinie zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis für Studierende an der Universität Potsdam (Plagiatsrichtlinie) – Vom 20. Oktober 2010“ ist mir bekannt.
Es handelt sich bei dieser Arbeit um meinen ersten Versuch.