Wie jeden Tag in der Woche
stand ich am Fenster
und schaute hinaus
betrachtete das Geschehen
in der Welt dort draußen
Mein treues Fernglas
Dicht am Gesicht
Meinen scharfen Blick
Entging nicht die geringste Ungerechtigkeit.
Erst heute wieder
Hab ich einen Falschparker erwischt
hatte sein Auto einfach vor der Tür abgestellt
Das durfte nicht sein
Schließlich gab es
Ausgewiesene Parkplätze
Ich rief die Polizei
und sofort kamen sie
mit Abschleppwagen
Der Falschparker fuchtelte
Und diskutierte
Sie nahmen ihn auch gleich mit.
Gerechtigkeit siegte wieder.
Kinder schrien und spielten im Innenhof
Spielten Fußball oder ähnliches
Veranstalteten ein unerträgliches Geschrei
Ein Gejohle
Ein Gekreische
Mit anderen Worten: Lärm
Es war aber Mittagsruhe
Bis 15 Uhr
Ich schaute auf die Uhr
Drei Minuten vor drei Uhr
Hatten die Bälger
Keine Eltern?
Sie verletzten wohl ihre Aufsichtspflicht
Ich lauschte und hörte
Eines der Kinder schrie
Hatte sich wohl verletzt
Sofort ging meine Hand an den Hörer
Und alarmierte das Jugendamt
Kindeswohlgefährdung, sag ich nur
Heute Abend stand der Sozialarbeiter vor der Tür
Und nahm den weinenden und schluchzenden Eltern
Das schreiende Balg weg
Ruhe kehrte wieder ein
Gerechtigkeit siegte wieder.
Ich lag in meinem Bett
Und las ein gutes Buch
Unter mir feierten die Nachbarn wild
Außer Rand und Band
Ohne Verstand
Es war 21:59
Bald musste Bettruhe einkehren
Es war 22:01
Und es wurde noch immer
Laute Musik gespielt
War die Party angemeldet?
Wohl kaum
Ich hatte keine Benachrichtigung
Im Briefkasten
Meine Hand erfasste das Telefon
und ich rief die Polizei
Sofort kamen sie
Ich hörte Gepolter
Stampfende Schritte
Marschierende Kolonnen
Und betrunkenes Geschrei
Doch dann herrschte Ruhe
Gerechtigkeit siegte wieder.
Ich beobachtete ein Jugendliche
Was führten sie wohl im Schilde?
Illegale Geschäfte?
Drogen?
Prostitution?
Menschenhandel?
Vielleicht planten sie auch
einen Überfall
auf unschuldige Bürger
Oder einen Terroranschlag?
So oder so
solch kriminelle Machenschaften
dürfen nicht toleriert werden
Ich rief die Polizei
Und sogleich holten sie
Die jugendlichen Verbrecher ab.
Brachten sie in die neuen Besserungsanstalten
die überall errichtet werden
Gerechtigkeit siegte wieder.
An einen schönen Nachmittag
sah ich Robert
verstohlen über den Innenhof schleichen
Robert verbreitete Unwahrheiten
Über den neuen Staat
Über die neue Führung
Er war gesucht
Er war mein Freund
die Zeiten haben sich geändert
Meine Hand griff zum Hörer
Und sofort meldete ich ihn
Die Spezialkräfte kamen
Nur wenige Augenblicke später
Und nahmen ihn mit.
Gerechtigkeit siegte wieder.
Ich belauschte zufällig meine Nachbarin
Hielt mein Ohr an die Tür
Sie sagte Dinge, die man später bereuen würde
Sie fluchte
Über die neuen Verhältnisse
Schimpfte und zeterte
Wie die alte Hexe
Die sie ist
Sie schimpfte über
die »unerträglichen Zustände«
Das konnte ich nicht ignorieren
Meine Hand ging zum Hörer
Wenig später
Brachen sie die Tür auf
Und nahmen das alte Weib mit
Gerechtigkeit siegte wieder.
Ich stand in meinem
Hell erleuchteten Zimmer
In meiner neuen Uniform
Mit direkten Draht
Zu den neuen Beschützern
Unseres schönen, neuen Staates
Trage viele Orden an der Brust
und bin hochgeachtet
Ich grüße unsere Führung
Und verehre unseren Staat
Ich diene und schütze ihn
Ich bin Auge und Ohr
Bin das weiße Blutkörperchen
In einen von Viren und feindlichen Bakterien
Verseuchten Körper
Ich bin das Heilmittel
Gegen die Krankheit
Meine Hand ging zum Hörer
Und ich sprach:
»Sie sind auf dem Dachboden.«
Ein Lächeln umspielte meine Lippen.
Gerechtigkeit siegte wieder.